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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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stellen.
    War also doch wahr, was in der Stadt seit Wochen als Gerücht umlief? Dass eine Gruppe von Aufständischen plane, den Rat zu stürzen und die Macht in Siena zu übernehmen?
    In der Mitte der Bewaffneten entdeckte Bartolo die stämmige Gestalt von Rocco Salimbeni, und sofort verdichtete sich seine Vermutung zur Gewissheit. Kaum eine der eingesessenen Familien hatte so vehement gegen den amtierenden Zwölferrat gekämpft wie die des Bankiers. »Salimbeni haben es nicht nötig, sich von Färbern und Gerbern regieren zu lassen« – seine respektlosen Sprüche kursierten seit Langem in Siena.
    Jetzt sah Bartolo den Rektor kommen, weit ausschreitend im Gestus eines römischen Imperators, gefolgt von Savo Marconi und Richter di Nero. Auch das passte ins Bild; jeder wusste, wie eng diese Männer einander verbunden waren. Aber bildeten sie auch das Herz der Revolte?
    Die Situation konnte jedenfalls brenzlig werden, und vielleicht wäre es besser, sich mit Mario einen sichereren Platz zu suchen. Zum Glück hatte Lavinia auf den Palio verzichtet, um nicht von der halben Stadt scheel angestarrt zu werden, wie sie ihm spitzzüngig an den Kopf geworfen hatte. Die Mädchen waren wohl oder übel bei ihr geblieben – und damit in Sicherheit. Jetzt war Bartolo mehr als froh darüber.
    Mario …, wollte er gerade sagen, da sah er, wie der Junge den Arm hochriss und zu winken begann.
    Auf der anderen Seite stand die hochgewachsene Frau im dunklen Umhang, umgeben von ihren Kindern, und die winkte zurück. Natürlich fiel Bartolos Blick zuerst auf Angelina, die sich, ihre unvermeidliche Flickenpuppe im Arm, schutzsuchend an ihre Waisenmutter drückte. Ein wehes, sehnsüchtiges Gefühl überflutete ihn, gemischt mit Angst, denn auch sie konnte in allergrößte Gefahr geraten, sollte es tatsächlich zu Kämpfen kom men. Aber wie würde er es fertigbringen, den Jungen und die Kleine gleichzeitig zu schützen, ohne sich auf der Stelle zu verraten?
    Mario rief etwas zu Mamma Lina hinüber, das Bartolo nicht verstand, weil die Menge zu johlen, pfeifen und ungeduldig zu klatschen begonnen hatte, als könne sie damit den Start des Palio beschleunigen. Und bevor Bartolo es sich versah, war der Platz neben ihm leer und Mario auf die gegenüberliegende Seite zu Mamma Lina und den Kindern gerannt.

    ❦

    Das Donnern der Hufe klang wie bei einer Schlacht. Die engen Gassen verstärkten den Klang auf gespenstische Weise. Man hätte glauben können, eine Armee sei im Anzug.
    »Sie kommen, sie kommen!«
    Sand und Tuff spritzten auf, denn die Pferde ritten eng beieinander. Jetzt machten einige der Reiter von ihren Ochsenziemern Gebrauch, die sie gegen die Flanken der gegnerischen Rosse oder auf den Rücken eines Konkurrenten klatschen ließen.
    Ein Aufschrei! Ein Schimmel hatte seinen f antino abgeworfen und lief alleine weiter. Er konnte noch immer gewinnen, selbst wenn er reiterlos die Ziellinie riss.
    » Oca, Oca, Oca!« Eine Gruppe aus Fontebranda brüllte so laut sie nur konnte, und Mia nebst Raffi mit ihnen. Weil alle dabei die Arme hochrissen und sich heftig bewegten, fing Angelina zu weinen an. Lelio verzog sich mit ihr ein Stück nach hinten, was der Kleinen aber auch nicht zu passen schien, weil sie jetzt nichts mehr sehen konnte.
    »Hör endlich auf zu quengeln!«, sagte er ungeduldig. »Ich will doch auch mitbekommen, ob unsere Gans das Rennen macht!«
    Unschlüssig starrte sie zu ihm empor, um herauszufinden, wie ernst er es meinte, aber Lelio wandte sich einfach ab.
    Selva , die einen wunderschönen Fuchs hatten, war Oca dicht auf den Fersen. Aber Oca musste doch gewinnen!
    »Oca, Oca, Oca!« Jetzt schrie auch Lelio aus Leibeskräften, viel zu aufgeregt, um noch mitzubekommen, was hinter ihm vorging. Der Gestalt im schwarzen Umhang war es gelungen, sich unbemerkt an die beiden Kinder heranzuschleichen. Sie holte kurz aus. Das Eisen traf Lelio genau an der Schläfe. Lautlos sackte er in sich zusammen und fiel zu Boden. Dann packte die Gestalt das Mädchen, hob es hoch und setzte es sich auf die Schulter.
    »Kleines Pferdchen!«, rief Angelina. »Warte, meine Puppe! Ich hab meine Puppe verloren!« Doch im laut einsetzenden Siegesjubel ging ihre Stimme unter.
    Oca hatte auch in diesem Jahr wieder das Rennen gewonnen. Während die einen sich gegenseitig in die Arme fielen und andere sich enttäuscht abwendeten, war die dunkle Gestalt mit Angelina im Gewühl verschwunden.
    »Lelio? Angelina?« Mamma Lina drängte sich entschlossen

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