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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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stehlen alles, was nicht niet- und nagelfest ist.«
    Ein gellender Aufschrei der Empörung, der bis zu padre Bernardo drang. Sein bärtiges Gesicht verzog sich unwillig, dann jedoch näherte sich ihm einer der Engel und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
    »Brüder und Schwestern im Herrn!«, rief der Prediger, nachdem der Junge mit gesenktem Kopf an seinen ursprünglichen Platz zurückgekehrt war. Beschwichtigende Gesten, wie man sie nie zuvor von ihm gesehen hatte, begleiteten seine Worte. »Ich beschwöre euch: Lasst euch nicht einlullen vom Odem des Bösen. Arglistige Zungen sind es, die Schändliches über mich und meine unschuldigen Söhne behaupten, doch das sind nichts als dreiste Lügen und haltlose Anschuldigungen …«
    Ein überreifer Pfirsich traf Bernardo am Kopf. Für einen Moment verwirrt, hielt er im Reden inne und betastete seinen so überraschend malträtierten Schädel. Schon flogen Eier und die nächsten matschigen Früchte, verfaulte Kohlköpfe zerplatzten auf seiner Brust, seinem Bauch, den Schenkeln. Innerhalb weniger Augenblicke hatte sich die eben noch schwarze Kutte in ein triefendes, schmieriges Etwas verwandelt.
    »Sieh dich vor, Bernardo!«, schrie ein Junge mit Hakennase, der drohend die Fäuste erhoben hatte. »Denn beim nächsten Mal sind es vielleicht nicht mehr nur Eier und faulige Früchte!«
    Der Prediger stieß einen lauten Schrei aus. Seine dünnen Arme schossen in einer dramatischen Geste nach oben, als wolle er den Himmel um Hilfe anflehen.
    »Wo bleibt ihr denn? Seht ihr nicht, was sie eurem geliebten Vater antun?«, begann er angstvoll zu bellen. »Rettet mich, meine Söhne! Worauf wartet ihr noch?«
    Erst jetzt setzten die Engel sich in Bewegung, stürmten aus allen Richtungen auf ihn zu und schirmten ihn wie ein Kegel aus Menschenleibern vor der Menge ab.

    ❦
    Wasser sprudelte aus dem Maul des steinernen Delfins und plätscherte in den kleinen Brunnen, der vor dem Versammlungshaus der Contrade Onda stand. Mario, der vorangelaufen war, blieb stehen und presste die Hand in die Seite, die vom schnellen Laufen so heftig stach, dass er nach Atem ringen musste.
    Dann erst entdeckte er das Mädchen.
    »Da liegt sie!«, schrie er, während er neben ihr niederkniete, ohne auf die feinen seidenen Beinlinge zu achten, die er heute zu seinem festlichen Aufzug trug. »Kommt schnell! Ich hab Angelina gefunden.«
    Bartolos Herz machte einen so heftigen Satz, dass er schon befürchtete, es wolle ihm im nächsten Moment aus der Brust springen. Er setzte Raffi ab, der vor Schreck stumm blieb, und stieß Mario regelrecht zur Seite, damit er sich über die Kleine beugen und an ihrem Brustkorb lauschen konnte.
    »Sie hat gespuckt!«, jammerte Lelio, der die Puppe umklammert hatte, als ob sie ihm Trost spenden könnte. »Wie Cata, aber noch viel, viel mehr. Schaut doch nur, da ist eine riesige Pfütze und ihr Kleidchen …«
    »Aber sie lebt!«, rief Bartolo in maßloser Erleichterung. »Ihr Herz schlägt. Angelina lebt!«
    Behutsam schob er seinen Arm unter ihren Kopf. Unvermittelt schlug das Mädchen die Augen auf. Im gleichen Moment schoss ein Schwall einer hellen, übel riechenden Brühe aus ihrem Mund und benetzte seine Beine. Ohne sich darum zu scheren, brachte Bartolo Angelina zum Sitzen. Abermals ein tüchtiger Schwall, dieses Mal knapp neben ihn.
    »Sie muss trinken!«, rief er. »Wasser, Mario! Schnell!«
    Der hölzerne Eimer flog über die Brüstung, und
    Mario legte sich ins Zeug, damit er so schnell wie möglich gefüllt war. Weil ein Becher fehlte, bildete Bartolo mit seinen Händen eine provisorische Schale und ließ die Kleine daraus trinken, Schluck für Schluck. Irgendwann schloss Angelina die Augen und schüttelte den Kopf.
    »Ich glaube, sie kann nicht mehr«, rief Lelio, dessen Gesicht langsam wieder Farbe annahm.
    »Kann nicht mehr«, echote nun auch Raffi. »Angelina kann nicht mehr.«
    »Willst du dich lieber wieder hinlegen?«, fragte Bartolo besorgt. »Ist dir noch übel?«
    »Sitzen«, flüsterte Angelina. »Meine Puppe?«
    Lelio streckte sie ihr entgegen, und sie griff sofort danach. Bartolo ließ sich neben Angelina auf dem feuchten Boden nieder, ohne die Nässe zu spüren. Ihr kleiner Kopf sank erschöpft an seine Schulter. Ihre Lider flatterten. Jetzt erst schien das Mädchen halbwegs zu begreifen, wer um sie herumstand.
    »Lelio.« Die Spur eines Lächelns. »Und Raffi. Wo ist …«
    »… Mamma Lina wartet schon auf dich. Wie sie jubeln wird, wenn sie erfährt,

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