Die Sünderin von Siena
Safran genossen, danach Kraut mit gesottenen Forellen und in Wein geschmorten Krebsen, in Öl gebratene Steinpilze und schließlich süßes Mandelmus. Die leer geräumten Teller waren von fleißigen Mägden längst abgetragen. Man sah es an den geröteten, leicht gedunsenen Gesichtern, dass keiner hungrig geblieben war – und durstig ebenso wenig, wie die zahlreichen leeren Weinkrüge bezeugten. Sogar der füllige und edlen Speisen überaus zugeneigte Domherr Domenico Carsedoni schien gesättigt, obwohl alle wussten, welch bemerkenswerte Ausmaße sein Appetit annehmen konnte.
Die Hausherrin ließ sich jedoch nicht abbringen, sondern fasste nun ihren jüngeren Vetter schärfer ins Auge. Domenico saß leicht zusammengesunken am anderen Ende der langen Tafel, die auf Bices besonderen Wunsch hin angefertigt worden war, damals, als sie noch inständig darauf gehofft hatte, um den Tisch eines Tages eine zahlreiche Kinderschar zu versammeln. Das dünne helle Haar, das an den Schläfen bereits zurückzuweichen begann, war Carsedoni in die Stirn gefallen, und seine Unterlippe hing entspannt herab.
»Du warst doch als Vertreter der Domherren von Anfang an beim Prozess dabei«, sagte Bice. »Glaubst du, sie haben es tatsächlich getan? Sind die beiden schuldig in deinen Augen – der Bäcker und sein hübscher junger Gehilfe?«
Derart in die Enge getrieben, nestelte Domenico an seinem wie stets zu engen Kragen. Jetzt wirkte er plötzlich angespannt.
»Das Gericht jedenfalls scheint letztlich zu dieser Ansicht gelangt zu sein«, sagte er schließlich mit belegter Stimme. »Geständnisse allerdings gab es keine, falls du darauf hinauswillst. Nicht einmal nach der peinlichen Befragung. Keiner der beiden hat auch nur ein Wort gesagt. Und mehr darüber kann und darf ich nicht verraten.«
»Keine Geständnisse? Nicht einmal unter der Folter?« Bice schüttelte den Kopf. »Dann müssen sie unschuldig sein! Was aber, Domenico, wenn ihr zwei Unschuldige hinrichten lasst?«
Jetzt wurden einige der Männer am Tisch langsam unruhig, vor allem die beiden jungen Kaufleute aus Pisa, die heute Station in der Stadt machten, ebenso wie Piero Roncaglio, der als Verwalter des Gastgebers ergiebige Eisenerzmine auf Elba leitete, die dessen Reichtum speiste.
»Nun lass es aber gut sein!«, verlangte Enea, und die bläuliche Ader an seiner Stirn verriet, wie aufgebracht er war. »Hast du auf einmal jeden Anstand vergessen? Was ist denn nur in dich gefahren, Weib? Du verausgabst dich ja regelrecht – und das alles ausgerechnet heute, wo es dir endlich wieder besser geht!«
Einen Augenblick lang blieb Bice still, ihre farblosen Augen aber wanderten nach wie vor aufmerksam von einem zum anderen. Sie war niemals schön gewesen, auch nicht in jungen Jahren. Dafür war ihr Hals zu mager, waren die Schultern zu knochig, die Brüste zu flach. Flusiges helles Haar stand um ihren kantigen Schädel; von hinten hätte man sie in der passenden Kleidung mühelos für einen Mann halten können. Nicht einmal die späte Schwangerschaft hatte sie weiblicher gemacht. Dabei vergötterte sie Giovanni, ihren einzigen Sohn, und verteidigte ihn gegen jeden und alles wie eine Löwin.
»Dann kannst du ja froh sein, dass du in diesem Verfahren nicht der Richter warst«, erwiderte sie ihrem Mann. »Gab es eigentlich einen besonderen Grund, weshalb man dich ausgetauscht hat?«
»Man hat mich gar nicht erst berufen. Ich bin nämlich, wie du am besten wissen dürftest, mit anderen Fällen bereits mehr als belastet«, sagte Enea. »Das allein war der Grund und nichts anderes.«
»Wird man sie hängen?« Der junge Giovanni, der bislang geschwiegen hatte, schien langsam Interesse am Thema zu bekommen.
»Jetzt auch noch der Junge!«, sagte Enea strafend. Seine sehnigen Hände flogen abwehrend nach oben. Früher war er muskulös und kraftvoll gewesen, ein schlanker, beweglicher Mann mit dem kühnen Profil eines Seeräu bers. Inzwischen jedoch hatte das unerbittliche Gesetz der Schwerkraft überall seine Spuren hinterlassen. »Da siehst du, was du mit deiner Neugierde angerichtet hast!«
Bice musterte ihren Mann unbeeindruckt. Sie hatte ein schmales, bräunliches Gesicht, aus dem die fleischlose Nase als unverwechselbares Kennzeichen herausstach.
»Ich denke, man wird sie wohl verbrennen«, sagte sie in provozierendem Ton. »Auf dem Campo jedenfalls hab ich Derartiges läuten hören, und was die Leute dort munkeln ist leider meistens wahr. Auf einem großen, prächtigen
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