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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Scheiterhaufen. Um alle anderen abzuschrecken. Ja, genau das wird man tun.«
    Es wurde lähmend still in der Runde.
    Bice griff zu dem kleinen Tongefäß, ohne das sie niemals zu einer Mahlzeit erschien, und träufelte etwas daraus auf einen Löffel. Ihr Mund verzog sich, als sie sich die Medizin in den Mund schob. Es war ihr anzusehen, mit welch übergroßer Verachtung sie sie hinunterwürgte. Ihr Leiden kam und ging, zeigte sich mal stärker, dann wieder schwächer, aber richtig gesund war sie schon lange nicht mehr. Offenbar wusste nicht einmal Savo Marconi, der langjährige Freund der Familie, der nicht müde wurde, ihr immer wieder neue Tränklein und Tinkturen zu mischen, was ihr wirklich fehlte.
    »Alle Wollust der Kreaturen ist gemengt mit Bitterkeit«, sagte plötzlich der Domherr. »Und der Tag der Wahrheit ist das Jüngste Gericht. Auch wenn es schon einige Zeit zurückliegt, so erinnere ich mich doch noch genau, wie entsetzlich es riecht, wenn menschliches Fleisch in Flammen aufgeht. Keiner, der einmal eine Verbrennung erleben musste, könnte das jemals vergessen.« Domenico leerte seinen Becher und erhob sich.
    »Aber was haben sie denn getan, diese Bäcker?«, rief Giovanni. »Und was bedeutet peccatum mutum überhaupt?«
    »Woher hast du das?«, fuhr sein Vater ihn an, der Bices unbeantwortete Frage vergessen hatte. »Antworte gefälligst! Mit welchen Kreaturen treibt du dich heimlich herum? Das hört mir auf, und zwar sofort, verstanden?« Er sprang auf, versetzte ihm eine Kopfnuss.
    »›Die stumme Sünde‹, mein Sohn«, klärte Bice den Jungen auf. »Etwas, das so schrecklich ist, dass man es nicht einmal in den Mund nehmen darf.« Sie zeigte ein dünnes Lächeln. »So jedenfalls hat der barfüßige Prediger es genannt, der im vergangenen Frühjahr in San Domenico die Massen begeistert hat. Das Zweite, worüber er in harten Worten gewettert hat, waren übrigens die Wucherer, jüdische wie erst recht christliche.«
    Enea hob die Hand, als wolle er sie zum Schweigen bringen oder lieber noch züchtigen, doch seine Frau saß zu weit entfernt und konnte folglich ihrer Zunge weiterhin freien Lauf lassen. Man hätte beinahe glauben können, sie genieße jedes einzelne Wort.
    »Es heißt, der Prediger sei bereits wieder auf dem Weg zu uns, wolle Siena auch heuer wieder in der Osterzeit heimsuchen, um jedem Einzelnen seine verderbte Sündhaftigkeit vor Augen zu führen. Habt ihr auch schon davon gehört? Helft mir einmal, wie war noch mal sein Name? Bartolo? Nein! War es Bruno? Nein, das auch nicht. Wartet – jetzt hab ich es: Bernardo nannte er sich, padre Bernardo, wenn ich mich nicht irre.«
    Alle starrten sie an. Jeder schien auf einmal wieder den mageren Mann mit der ausgewachsenen Tonsur und den wilden schwarzen Augen gegenwärtig zu haben, der bei seinem letzten Besuch ganz Siena in helle Aufregung ver setzt hatte. Der Zwölferrat hatte sich schließlich nicht anders zu helfen gewusst, als ihn gewaltsam der Stadt zu verweisen. Padre Bernardo freilich hatte sich mit Händen und Füßen gewehrt, die Rache des Himmels herabbeschworen und lautstark verkündet, sein Gotteswerk, wie er es nannte, unbeirrt fortzusetzen.
    »Schmalzgebäck mit Rosinen gefällig?« Bice schien mehr als zufrieden mit dem, was sie erreicht hatte. »Ist noch irgendjemand hier hungrig?«

    ❦

    Der Hengst, den sie ritt, war schwarz und stark, und er galoppierte so schnell, dass es sich für Gemma anfühlte, als ob sie flögen. Farben, Menschen, Kopf an Kopf zu beiden Seiten der Straße, laute Freudenschreie.
    Sattellos ritt sie, presste ihren Körper enger an den Rücken des Tieres und spürte, wie seine Hitze tief in sie drang. Es war schwierig zu sehen, wo der Hengst hinlief, aber sie vertraute ihm auch so, die Arme um seinen Hals geschlungen, eins mit dieser herrlichen Kreatur, die sie sicher ins Ziel bringen würde.
    Jubel brandete auf, gemischt mit ein paar spitzen Schreien, denn nun war plötzlich ein Verfolger hinter ihr, der sein Reittier unbarmherzig voranpeitschte. Sie hörte das Schnauben, die herrische Stimme des Reiters, die sie sofort erkannte – Lupo!
    Als sie sich umdrehte, um den Abstand zwischen ihnen einzuschätzen, sah sie das blutige Horn. Ihr Verfolger ritt das Fabeltier seiner Contrade und holte unerbittlich auf.
    Ihr Hengst wurde immer unruhiger, das fühlte sie instinktiv, noch bevor sie es wusste, wollte ausscheren. Plötzlich begann er zu steigen. Sie griff in seine Mähne, suchte verzweifelt nach

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