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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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schloss sie ihre Augen mit der seltsamen Falte, die sie so fremd aussehen ließen. Sie lispelte und spuckte manchmal beim Sprechen, doch Gemma genoss das warme und freundliche Gewicht auf ihrem Schoß.
    »Sie macht mir den größten Kummer von allen, denn unsere Cata wird niemals allein für sich sorgen können.« Zärtlich strich Mamma Lina das helle Haar aus der Stirn des Mädchens. »Für den Rest ihres Lebens bleibt sie ein Kind, ein Kind dazu mit einem schwachen Herzen, das kaum noch Luft bekommt, wenn es einmal schneller läuft. Und doch gibt es niemanden, der ein größeres Herz als sie hat und mehr Liebe verströmt.«
    »Von mir aus kannst du jeden Tag kommen«, rief Raffi. »Dann kannst du uns immer Kuchen mitbringen.«
    »Oder du ziehst gleich bei uns ein«, schlug Lelio vor. »Ganz oben haben wir noch ein Kämmerchen frei.«
    Gemma lachte, fühlte sich fröhlich und unbeschwert.
    »Sie mögen Euch«, sagte Mamma Lina, »und sie meinen es ehrlich. Ich hab noch nie erlebt, dass sie sich verstellt hätten.« Sie begann, die Minestrone umzurühren. »Habt Ihr es eigentlich bereut?«
    »Was meint Ihr?« Gemmas Wachsamkeit war sofort wieder da.
    »Dass Ihr nach Hause zurückgegangen seid. Ihr seid doch nach Hause zurückgegangen, Monna Santini – und das, obwohl Ihr Euch sehr über mich geärgert habt.«
    »Nein und ja zugleich«, sagte Gemma, ohne auf Letzteres einzugehen. »Wir sind uns fremd geworden, alle miteinander. Es verwirrt sie, dass ich auf einmal wieder da bin. Damit hatte keiner gerechnet.«
    »Ihr müsst Geduld haben!«, sagte Lina. »Es wird sich sicherlich alles wieder einspielen.«
    »Geduld ist das eine. Das andere, was ich dringend brauche, ist eine Aufgabe. Ich kann nicht einfach untätig zu Hause herumsitzen und darauf warten, dass die Zeit vergeht.«
    Gemma schüttelte den Kopf, als sie den zwingenden Blick der anderen bemerkte.
    »Vergesst es! Das würde niemals gut gehen.«
    »Weshalb? Man muss nicht erst ein Gelübde ablegen, um Gutes zu tun.«
    Linas Worte gingen Gemma nicht mehr aus dem Sinn, als sie nach Hause lief. Zum ersten Mal seit Monaten hatte sie heute auf einen Umhang verzichten können und sich nur einen breiten Wollschal umgelegt; man konnte spüren, wie die Sonne jetzt von Tag zu Tag mehr an Kraft gewann. Die Landschaft jenseits der Mauern hatte sich verändert: Das karge Winterbraun gehörte der Vergangenheit an, jetzt gab es sanfte Wellen in Terrakotta, Ocker und frischem Grün. Die ersten Bäume blühten, später als sonst, dafür umso prächtiger.
    Ihre Zuversicht stieg, als sie eintrat und Bartolo in seinem bequemen Stuhl entdeckte. Lavinia war mit Nonna Vanozza und den jüngeren Schwestern noch bei der Abendandacht.
    Endlich, endlich würde sie den Vater für sich allein haben!
    »Gut, dass ich dich sehe, Mädchen.« Er schaute kaum auf, las weiter in den Pergamenten, die sich auf seinem Schoß rollten. »Die anderen wissen es schon. Nun sollst auch du es erfahren.«
    Gemma blieb stehen, plötzlich auf der Hut.
    »Er wird bald eintreffen, vermutlich bereits gegen Ende dieser Woche, sofern alles nach Plan läuft. Die beschwerliche Reise über die Alpen scheint er gut überstanden zu haben. Das spricht schon mal für ihn.« Er lächelte. »Allerdings wird hier in Siena alles neu für ihn sein, eine andere Welt, die er nach und nach begreifen muss. Angeblich spricht er unsere Sprache, aber seine Mutter ist schon seit vielen Jahren tot, also wird er notgedrungen vieles vergessen haben. Deshalb appelliere ich an dein Herz ebenso wie an deine Vernunft: Du bist meine Große und wirst es ihm doch leicht machen, nicht wahr, Gemma, das wirst du doch?«
    »Ich verstehe kein Wort … Wer wird hier sein? Welche Reise? Wovon redest du überhaupt?«
    »Mario Lauinger. Albas Sohn aus dem fernen Augsburg. Der Junge mit den goldenen Augen. So jedenfalls hat meine Nichte ihn mir in ihren Briefen stets beschrieben. Ich werde ihn bei uns als Lehrling ausbilden. Das war der letzte Wunsch seiner verstorbenen Mutter, den ich gerne erfülle.«
    Sein Lächeln vertiefte sich. Plötzlich sah Bartolo Santini wieder so verschmitzt wie früher aus.
    »Angeblich ein kleines Rechengenie. Mal sehen, ob er sich in der Buchhaltung tatsächlich so gut macht, wie sein Vater es vollmundig prophezeit hat.«
    Albas Sohn. Der deutsche Junge mit den goldenen Augen . Der männliche Erbe, den er niemals gehabt hatte und den endlich ken nenzulernen er offenbar kaum erwarten konnte.
    Jetzt wusste Gemma

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