Die Sünderin von Siena
danach war er allerdings wie ein gefällter Baum umgesunken und hatte sich seitdem nicht mehr gerührt.
Liebevoll betrachtete ihn Matteo. Von Tag zu Tag mochte er ihn mehr, diesen anhänglichen, aufgeweckten Kerl, der geschickte Hände hatte und vor allem so schön staunen konnte. Als er ihm erklärt hatte, dass die Begegnung von Anna und Joachim an der Goldenen Pforte als symbolische Zeugung der göttlichen Jungfrau betrachtet werde, röteten sich Nevios Wangen.
»Das lass aber besser meine Mutter nicht hören!«, hatte er gesagt, sichtlich verlegen. »Die glaubt nämlich ohnehin, dass du mich verderben wirst. Ständig liegt sie mir in den Ohren, ob bei dir nicht doch heimlich Frauen ein- und ausgehen. Dabei hab ich die ganze Zeit außer ihr noch kein anderes weibliches Wesen in deinem Haus gesehen.«
Das Rascheln von Stoff ließ Matteo aufhorchen.
»Wie schön!«, sagte eine weibliche Stimme, ihm so vertraut, dass er sich nicht umdrehen musste, um zu wissen, wer ihn da in der nächtlichen Kapelle unverhofft besuchen kam. »Die beiden sehen so innig aus. Und ich kann spüren, wie groß ihre Freude ist.«
»Nichts könnte bewegender sein, als gemeinsam die Ankunft eines Kindes zu erwarten«, sagte er. »Lass uns nur hoffen, dass Barna ähnlich denkt. Beim Auszahlen des Vorschusses war er noch äußerst zögerlich. Ginge es nach ihm, so müssten der Junge und ich bis zur Fertigstellung des Freskos von Luft und Wasser leben.«
»Der Rektor ist ein schwieriger Mann und ein sehr geiziger dazu«, sagte Celestina. War sie aufgeregt? Ihre Stimme klang höher als sonst. »Seitdem die gesamte Verwaltung von Santa Maria della Scala in seinen Händen liegt, ist er sogar noch knauseriger geworden. Doch seine Macht reicht weit. Und er hat einflussreiche Freunde, vergiss das nicht!«
Jetzt stand sie neben ihm, zu seiner Überraschung nicht wie gewohnt im schlichten Habit des Hospitals, sondern in einem Kleid aus schwerer weißer Seide, über dem sie eine ärmellose giornea mit roten und weißen Rosen auf blassgelbem Grund trug. Ihr schwarzes Haar war in der Mitte gescheitelt und locker nach oben genommen, was den kräftigen Hals vorteilhaft streckte. Leider jedoch machten die ungewohnt hellen Farben ihr Gesicht fahl und ließen vor allem die Warzen umso auffälliger hervortreten. Celestina hatte sogar Rosenöl aufgelegt, das in weichen Wellen zu ihm flutete.
Nichts davon entging dem Maler, während er sie aufmerksam musterte, weder ihr zunächst erwartungsvoller Ausdruck noch die jähe Resignation, die diesem folgte, als er offenbar nicht die gewünschte Reaktion zeigte. Nicht um der Osternacht willen hatte sie sich so fein gemacht, das wurde Matteo bewusst, sondern einzig und allein seinetwegen.
»Wie könnte ich das jemals?«, antwortete er.
»Von diesem Auftrag hängt einiges für dich ab.« Celestinas Stimme war schärfer geworden. »Man beobachtet dich, hat dich nie wieder aus den Augen gelassen. Seit damals …« Sie legte die Hand auf den Mund, deutete auf Nevio.
»Damals ist lange vorbei. Ich lebe – und du hast mich nicht verraten. Allein das zählt. Und was den Jungen betrifft: Wenn der einmal schläft, dann schläft er.«
Celestina trat zur Seite, dabei fiel ihr Blick auf den Packen Zeichnungen, die eigentlich nicht für ihre Augen bestimmt waren. Zu gern hätte er das vermieden. Doch jetzt war es zu spät, um den Packen wegzuräumen.
»Sie?«, sagte Celestina und klang erstaunt. »Von allen Frauen in Siena ausgerechnet sie – weshalb, Matteo?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte er wahrheitsgemäß. »Es ist einfach so.«
»So, wie es damals auch bei Fiona war?«
»Celestina, lass uns dieses Thema lieber …«
»Und wenn es das hier nicht gäbe?« Sie hatte seine Hand gepackt und an ihre Wange gepresst. »Wenn ich glatt wäre? Makellos und ebenmäßig wie sie, was dann?«
Er spürte die unregelmäßigen Erhebungen auf der erhitzten Haut, die ihr das Leben von Anfang an so schwer gemacht hatten, und Mitgefühl stieg in ihm auf. Matteo kannte keine Scheu, die Warzen zu berühren; für ihn waren sie ein Teil Celestinas, der zu ihr gehörte wie das dunkle Haar oder die wachen Augen. Doch er wusste, dass kaum einer so dachte wie er, und welch üble Kapriolen die Fantasie der meisten Menschen bei diesem Anblick schlagen konnte. Man hatte Celestina ausgelacht, verspottet, sogar bespuckt. Mütter zogen ihre Kinder enger an sich, sobald sie ihr begegneten; andere kreuzten heimlich die Finger hinter dem
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