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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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nichts anderes war es doch, was ihm da dreist und prall entgegenleuchtete – nicht das himmlische Reich Gottes, das weder Pinsel noch Farben bedurfte.
    »Padre Bernardo?«, ergriff nun ein kräftiger grauhaariger Mann das Wort. »Ich bin Niccolo Strozzi und von den anderen Ratsmitgliedern als Sprecher auserkoren. Wir danken Euch, dass Ihr gekommen seid.« Sein Blick glitt zu dem Jungen mit dem verfilzten braunen Haar, der sich unwillkürlich fester an Bernardos Kutte klammerte, als würde er das Kommende bereits ahnen. »Wenngleich wir fest darauf gehofft hatten, Euch allein zu sehen.«
    »Er ist taub«, sagte der Prediger, »und kann kein einziges Wort hören. Einer meiner kleinen Engel, den ein böses Schicksal getroffen hat. Leider gab es niemanden außer mir, der sich seiner erbarmt hätte.«
    Er ließ sie ordentlich warten, bevor er weitersprach, denn nichts anderes hatten sie verdient. Als er es dann tat, war seine Stimme überraschend ruhig.
    »Ich kann nur hoffen, dass eure Dankbarkeit bei diesem Besuch andere Formen annimmt als im vergangenen Jahr. Mein Rücken hat noch bis zum Herbst geschmerzt, so brutal seid ihr gegen mich vorgegangen. Und von den Schlägen auf die Brust hat sich meine Lunge bis zum heutigen Tag nicht ganz erholt.«
    Voll ins Schwarze hatte er getroffen, das sah er an ihren verlegenen Gesichtern. Manche starrten vor sich auf den Tisch, als sei von dort eine Lösung zu erwarten, andere wieder begannen unsicher oder geradezu anbiedernd zu lächeln.
    »Es war ein Fehler, derart mit Euch zu verfahren, das wissen wir heute«, begann Strozzi aufs Neue. »Und natürlich entschuldigen wir uns dafür in aller Form, denn …«
    »Was wollt ihr von mir?«, unterbrach der padre grob. »Denn allein, um mit mir fade Höflichkeiten auszutauschen, habt ihr mich doch sicherlich nicht gerufen.«
    »Ihr sollt das Wort Gottes verkünden – auf Eure Weise.«
    »Ich soll ihnen Angst machen, das ist es doch, was ihr wollt? Soll vom Teufel und dem Fegefeuer predigen, bis ihnen das Wasser aus den Augen spritzt? Weshalb?«
    »Die Menschen in Siena sind nicht mehr fromm. Sie führen kein gottgefälliges Leben, und deshalb …«
    »Du meinst Hurerei, Ehebruch, Sodomie?« Die Stimme des Predigers war noch härter geworden. »Den Auswurf der Menschheit? Meinst du das?«
    »Genau!«, rief Strozzi, während die anderen Ratsherren beifällig nickten. »Ich hätte es nicht besser sagen können.« Der Prediger hatte schon davon reden hören, dass die Mitglieder des Zwölferrates abgesehen von zwei Notaren und einem Richter niederer Abstammung waren. Und die, die das behauptet hatten, waren im Recht gewesen. An den Gesichtern konnte der padre es nur allzu deutlich erkennen. Dumpf blickten sie drein, wie der Großteil des Volkes, zu dem er in glühenden Zungen redete. »Ihr sollt sie zurück auf den rechten Weg bringen …«
    Bernardo lief los und war so schnell am langen Tisch angelangt, dass einer der dodici erschrocken aufschrie. Beide Hände auf das Holz gestemmt, beugte er sich gefährlich weit vor und funkelte die Ratsherren zornig an.
    »Die Wahrheit!«, schrie er. »Macht keinen Narren aus mir, oder ihr werdet es bitter zu büßen haben! Die reine, ungeschminkte Wahrheit – oder ich verlasse auf der Stelle den Saal und diese Stadt!«
    Eine Weile blieb es still, dann beugte sich einer aus dem Rat zu Niccolo Strozzi und begann eifrig auf ihn einzuflüstern.
    »Wir werden Euch die Wahrheit sagen«, fuhr jener fort und wirkte plötzlich um Jahre gealtert. »Damit Ihr seht, wie groß unser Vertrauen in Euch ist, padre Bernardo. Uns ist zu Ohren gekommen, dass heimlich Vorbereitungen für einen Aufstand getroffen werden. Versteht Ihr jetzt? Ein Aufstand, der alles und jedes in Siena auf den Kopf stellen würde …«
    »… und sehr schnell Schluss machen könnte mit eurer ›guten Regierung‹«, sagte der Prediger.
    »Dazu darf es niemals kommen. Denn die unausweichlichen Folgen wären Chaos und schreckliches Blutvergießen …«
    »… sowie vor allem der Verlust eurer schönen, fetten Pfründe und Privilegien, nicht wahr?« Keiner antwortete ihm, doch ihre Mienen waren ihm Antwort genug. »Wie aber soll ausgerechnet ich euch davor bewahren können?«
    »Nur Ihr allein seid dazu in der Lage! Indem Ihr nämlich das feurige Schwert des Wortes schwingt und über die schrecklichen Strafen predigt, die jeden erwarten, der etwas Derartiges auch nur im Sinn führt. Indem Ihr das göttliche Strafgericht beschwört mit Worten,

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