Die Sünderin von Siena
heute kannst du gehen.«
Leo verschwand wortlos.
Jetzt wurde die Stille im Raum beinahe lastend.
»Ihr braucht keine Angst zu haben«, sagte Matteo schließlich. »Ich will Euch nur zeichnen, das ist alles. Manche fürchten sich davor, weil sie glauben, ich würde dabei auch etwas von ihrer Seele auf das Pergament bannen, aber das ist Unsinn.«
»Habt Ihr das nicht längst getan?«, fragte Gemma.
Sein Blick wurde flackernd. »Ich verstehe nicht ganz …«
»Ich denke, Ihr versteht sehr gut«, sagte sie und war
froh, dass ihre Stimme nicht zitterte. »Ich war gerade in der Kapelle. Das große Fresko ist wunderschön. Aber noch um vieles interessanter fand ich die kleineren Eckengemälde.«
»Ihr habt es gesehen? Aber es ist doch noch gar nicht fertig …« Er begann mit großen Schritten im Raum auf und ab zu gehen. »So ein Bild entsteht in vielen Schichten. Man muss …«
»… zumindest um Erlaubnis fragen, bevor man ein Gesicht an die Wand einer Kirche malt, meint Ihr nicht?«
»Aber es ist die göttliche Jungfrau«, sagte er stockend, »so, wie ich sie sehe.«
»Es ist mein Gesicht, das nun die ganze Stadt sehen wird. Ihr hattet kein Recht dazu.«
Sie war richtig ärgerlich, das konnte er spüren, aber das war es nicht allein. Sie schien auch enttäuscht, weil sie etwas anderes erwartet hatte. Er hatte alles verdorben, aus seiner Sehnsucht, seinem Überschwang heraus.
»Ich wollte Euch keinen Ärger machen«, sagte er und trat einen Schritt auf sie zu. »Es ist nur so, dass ich die ganze Zeit …«
»Bringt es wieder in Ordnung«, sagte sie steif. »Mein Leben ist zurzeit schon schwierig genug.« Der Gedanke an Lupo machte ihr die Kehle eng. Was er wohl tat? Ob er heimlich jeden ihrer Schritte überwachte? »Das seid Ihr mir schuldig, Messer Minucci.«
Damit ließ sie ihn allein.
❦
Er hatte zu viel getrunken, und er wusste es genau. An anderen Tagen machte er sich nicht viel aus der derben Lustigkeit in den billigen Tavernen, doch heute hatte er es gebraucht, dieses Grölen und Lachen und Witzereißen, das ihn sonst abstieß. Irgendwann war Nevio aufgetaucht wie ein kleiner blasser Wächter, um ihn nach Hause zu bringen, weil er sonst morgen nicht aufstehen wollte, doch Matteo hatte ihn so angefahren, dass er sich unverrichteter Dinge wieder verzogen hatte.
Egal. Alles egal.
Dieses Wort kreiste unentwegt in seinem Schädel, dazu kam die Wirkung des schlechten Rotweins, der ihm bestimmt Kopfschmerzen und Übelkeit bescheren würde. Doch was könnte ihm noch Schlimmeres geschehen? Er hatte sie verloren, noch bevor er sie richtig gefunden hatte, die Frau des reichen Händlers, die so entschieden nicht seine Madonna sein wollte.
Er leerte den Becher und war gerade dabei, einen neuen Krug zu bestellen, da fiel sein Blick auf eine Frau, die schon die ganze Zeit in seine Richtung starrte. Eine Hure, das verrieten ihr aufreizendes grünes Kleid und der Mund, der um einiges röter war, als die Natur es hervorzubringen pflegte. Sie lächelte nicht, wie die meisten ihrer Zunft es getan hätten, sondern sah ihn ernst an, beinahe prüfend. Dann hob sie die Hand und strich sich zart über die Brust.
Er spürte, wie das Blut in seine Lenden schoss. Sie hatte langes braunes Haar, nachlässig aufgesteckt und dunkler als das Gemmas, aber ihres würde er berühren dürfen.
Er nickte ihr kurz zu, fast beiläufig, warf seine Kupfermünzen auf den Tisch und stand auf.
Sie folgte ihm in einigem Abstand, blieb immer wieder stehen, darauf bedacht, dass niemand sie miteinander in Verbindung bringen konnte. Die neuen Sittengesetze, die der Zwölferrat erlassen hatte, waren so schwierig und vielfältig, dass niemand sich daran halten wollte. Dennoch drohten drakonische Strafen, wurde man bei einer Übertretung erwischt. Die Stadt hatte sich damit abgefunden. In Siena war hinlänglich bekannt, wie man Gesetze wirkungsvoll umgehen konnte.
Zu Hause angelangt, ließ Matteo die Türe offen und ging hinein. Leichte Schritte verrieten ihm, dass sie ihm gefolgt war.
Dann stand sie vor ihm. Er nahm ihren erdigen Geruch wahr und noch etwas Süßliches, das darüber gelagert war.
»Sechs Lira«, flüsterte sie, als er ihr Haar lösen wollte, und begann bereits die grünen Bänder ihres Mieders zu lockern. »Und du bekommst, was du willst.«
Er wollte lachen, doch es klang eher wie ein Knurren. Dennoch war er erregt. Ihre Nähe begann seine Sinne zu verwirren.
»Sollst du haben«, sagte er.
»Jetzt gleich«, verlangte
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