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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Vergleich zu Celestina wirkten alle anderen wie Faulpelze.
    Mit Worten schien sie dabei zu geizen. Eine knappe Geste hatte genügt, um Gemma aus der Küche hinauf in den Krankensaal zu beordern. Zuerst hatte Gemma dagegen protestieren wollen, als sie jedoch die grauen Gesichter der Mantellatinnen sah, die an den Betten wachten, willigte sie ohne Widerspruch ein. Viele von ihnen hatten tagelang nicht mehr geschlafen, und obwohl die Kräfte sie allmählich verließen, weigerten sie sich, sich auch nur für kurze Stunden hinzulegen.
    Celestina war es schließlich, die die frommen Frauen dazu brachte zu rasten, mit dem besten Argument, das ihr hatte einfallen können: »Eure Caterina würde sehr böse sein, könnte sie sehen, wie leichtfertig ihr mit eurer Gesundheit umgeht. Wenn ihr nicht schlaft und esst – wie wollt ihr dann auf Dauer unsere kranken Kinder pflegen? Die Halsbräune ist nun mal keine Angelegenheit von Tagen, sondern kann sich wochenlang hinziehen. Ich will also vor dem Angelusläuten keine Einzige von euch hier sehen, verstanden!«
    Jetzt kamen sie nach und nach zurück, sichtlich frischer und zuversichtlicher als noch am Morgen. Celestinas Strafpredigt schien die gewünschte Wirkung erzielt zu haben.
    »Du kannst gehen«, hörte Gemma eine junge Mantellatin sagen, die so kindlich wirkte, als habe sie noch gestern mit bunten Murmeln vor dem väterlichen Haus gespielt. »Ich werde jetzt wieder übernehmen.«
    Gemma erhob sich zögernd. Selbst aus der Entfernung glaubte sie Celestinas argwöhnische Blicke zu spüren. Sollte sie zurück in die Küche? Sie wusste genau, dass sie auch dort nicht mehr gern gesehen war. Celestina duldete sie lediglich im Hospital, weil augenblicklich jede Hand gebraucht wurde.
    »Worauf wartest du noch?« Die Augen der Mantellatin waren blau und sanft. »Ohne ausreichend Schlaf und Essen wirst du womöglich selber krank. Also, ab nach Hause mit dir, bevor madre Celestina dich eigenhändig hinauswirft!«
    Langsam durchquerte Gemma den großen Saal. Kaum ein Bett, das nicht doppelt belegt gewesen wäre. Die Kinder wimmerten und weinten; manche stießen ihre fiebrigen Wünsche in kloßiger, schwer verständlicher Sprache hervor, andere wieder schienen bereits halb im Delirium. Über allen aber schwang der durchdringende Gestank nach Fäulnis, der auch für die Gesunden das Atmen zur Qual machte. Sie war fast an der Türe angelangt, als sie dort auf Celestina traf.
    »Du gehst schon?«, sagte die kleine Frau mit dem Krö tengesicht, unter beide Arme je einen Packen besudelter Leinwand geklemmt.
    »Nur etwas ausruhen«, sagte Gemma. »Die Mantellatin hat gesagt …«
    »Schon gut!« Mit dem Fuß stieß Celestina die Türe auf und ließ nicht zu, dass Gemma ihr dabei behilflich war. »Lass dich nicht aufhalten!«
    Ihre Feindseligkeit war fast mit Händen zu greifen, aber Gemma war entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen.
    »Ihr tragt so schwer. Lasst mich Euch doch helfen!« Sie griff nach einem der Packen, Celestina aber ließ ihn nicht los. »Was hab ich Euch eigentlich getan, madre ?«, begehrte Gemma auf. »Ihr wart früher so anders zu mir.«
    »Sie sterben. D as ist anders. Und jetzt lass mich in Ruhe meine Arbeit tun, damit wir wenigstens ein paar von ihnen retten!« Celestina schien entschlossen, nicht ein überflüssiges Wort zu verlieren.
    »Und wenn ich geschlafen habe? Soll ich dann wieder zurück …«
    »Nicht nötig. Was wir hier brauchen sind Frauen, die reinen Herzens sind«, fiel Celestina ihr ins Wort. »Frauen mit einem unbefleckten Leumund, die auch vor der himmlischen Jungfrau bestehen können.«
    Was sie gerade gehört hatte, kam Gemma erst richtig zu Bewusstsein, als Celestina mit ihrer schmutzigen Leinwand bereits in einer der unzähligen Kammern verschwunden war. Ging es noch immer um Lupo und das, was sie ihr notgedrungen anvertraut hatte? Oder spielte sie inzwischen auf etwas anderes an?
    Matteo Minucci kam ihr dabei als Erstes in den Sinn, ein Gedanke, den sie allerdings wieder energisch ver bannte. Bisher hatte sie es von Tag zu Tag hinausgeschoben, erneut die Kapelle zu betreten und sich dort mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass er ihrer Aufforderung tatsächlich gefolgt war.
    An den Maler zu denken ließ süße, wehmütige Empfindungen in ihr aufsteigen. Nicht einmal damals war es so, als Lupo um mich gefreit hat, dachte Gemma, während sie das Hospital verließ und die Augen zusammenkniff, weil die tief stehende Sonne sie blendete.

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