Die Sünderin von Siena
Geißel züchtige und ihren Vater gezwungen habe, ihr Bett zu verbrennen, weil sie sich auf bloßem Granit zur Ruhe legen wollte, als Fastenund Bußübung, um auch ja tagtäglich der heiligen Kommunion würdig zu sein. Aber war es zu alledem auch noch nötig gewesen, diesen Verschlag errichten zu lassen, der ihre ärmliche Zelle wie einen Stall erscheinen ließ?
Der Schmerz in den Knien war inzwischen so stechend geworden, dass Gemma aufstand und so leise wie möglich hinausschlich. Im Nebenraum traf sie auf Lapa, Caterinas Mutter, die mit zwei ihrer jüngsten Enkel am Rockzipfel in der Küche Brotteig knetete. Gemma mochte die korpulente Färbersfrau mit dem freundlichen Gesicht, die mehr Kinder zur Welt gebracht hatte als sonst irgendeine andere in Siena. Die Große Pest und andere Krankheiten hatten die Schar inzwischen drastisch dezimiert, aber mittlerweile wuchs die Familie unverzagt in der nächsten Generation weiter, was Lapa sehr zu gefallen schien.
»Du hast es nicht mehr ausgehalten?« Lapas Stimme war sanft. »Da bist du bei Gott nicht die Einzige! Ich selber habe Jahre gebraucht, um hinzunehmen, wie sie nun einmal ist. Und noch heute würde ich ihr manchmal am liebsten mit Gewalt etwas in den Mund stecken, so sehr sorge ich mich um sie.« Sie strich sich eine mehlbestäubte Strähne aus dem Gesicht.«Wie geht es deinem Vater? Den ehrenwerten Messer Santini hab ich schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr in unserer Werkstatt gesehen.«
»Er ist wohlauf«, sagte Gemma und musste sich gegen das schmerzliche Gefühl wehren, das bei der Erwähnung seines Namens sofort in ihr aufstieg. »Im Gegensatz zu deiner Tochter, wie mir scheint. Caterina sieht leidend aus. Und sie ist so entsetzlich dünn geworden! Als ob ihr sogar die Kraft zum Atmen fehle.«
»Täusch dich da nicht!« Lapas kräftige Hände bearbeiteten unermüdlich weiter den Teig, während die Kleinen es ihr nachzumachen versuchten und auf dem Boden ungelenke Röllchen formten. »Mein Liebling hat mehr Kraft als wir beide zusammen. Und einen so starken Willen, dass er nur direkt vom Allmächtigen kommen kann. Die letzte Nacht hat sie bei den Sterbenden im Hospital verbracht, doch glaub ja nicht, dass sie bis heute Abend auch nur eine Stunde schlafen wird! ›Ich bin nicht geboren, um meine Zeit zu vergeuden.‹ Das ist die einzige Antwort, die du erhältst, wenn du sie zur Mäßigung mahnst.«
»Aber wieso diese hässlichen Bretter?« Jetzt hatte sie es doch gesagt!
»Zu ihrem Schutz natürlich, was denkst du denn! Ständig werden es mehr, die mit ihr beten wollen, und viele von ihnen begnügen sich nicht mit bloßem Schauen, sondern würden Caterina am liebsten berühren. Einige haben schon versucht, heimlich kleine Fetzen von ihrem Gewand zu schneiden, um sie als Andenken mit nach Hause zu nehmen. Was wäre wohl der nächste Schritt? Einer ihrer Finger? Ein Stück von ihrem Fleisch? Manche Menschen sind schlimmer als Tiere!«
Lapas Worte hatten Gemmas Neugierde geweckt. Was hatte dieses halb verhungerte Mädchen an sich, das ihre Mitwelt derart faszinierte? Selbst Mamma Lina hatte seit Tagen von nichts anderem mehr geredet und gesagt: »Sie ist so unschuldig, so fromm, so ganz bei Gott. Allein, sie zu sehen, in ihrer Nähe sein zu dürfen, wäscht dich von allen Sünden rein.«
Gemma entschloss sich, zu den anderen zurückzukehren. Denn vor dem Verschlag betete nicht nur Lina, sondern auch Caterinas f amiglia , wie sie selber jene Mantellatinnen nannte, die sich am engsten um sie geschart hatten.
»Du willst es noch einmal versuchen?« Lapas Teig war inzwischen fertig und wurde jetzt zum Ruhen mit einem Tuch abgedeckt. »Bravo! Man muss sehr mutig sein, um sich meiner Tochter zu stellen.«
»Wieso mutig?«
»Weil Caterina niemandem nach dem Mund redet, sondern stets geradeheraus sagt, was der Allmächtige ihr gerade eingibt. Dabei kümmert sie weder Rang noch Geschlecht, weder Alter noch Besitz. Es gibt nichts und niemanden, vor dem sie sich scheut oder fürchtet. Was sie zu verkünden hat, wird verkündet!«
Gemma heimste gleich mehrere giftige Blicke ein, als sie sich erneut vor dem Verschlag einen Platz suchte. Sie kniete nieder, faltete die Hände und schloss die Augen, um die Präsenz Caterinas besser zu spüren. Nach einer Weile gelang ihr das tatsächlich. Es wurde heller, so empfand sie es jedenfalls, und gleichzeitig wärmer, als ob eine unsichtbare Kraft erwacht sei.
Plötzlich hörte sie eine überraschend kräftige und tiefe
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