Die Sünderin von Siena
Frauenstimme, und es dauerte ein paar Augenblicke, bis sie begriff, dass es Caterina war, die zu ihnen sprach.
»Hütet euch vor diesen selbst ernannten Pfaffen, die umherziehen und so tun, als verkündeten sie das Himmelreich! Wie das Licht der Wahrnehmung bei Blinden und geistig Umnachteten verdunkelt ist, so erkennen sie die Seuche und das Elend nicht, in dem sie sich befinden.«
Redete sie von padre Bernardo und seinen räuberischen Engeln? Erstaunt öffnete Gemma die Augen, denn auf einmal begann Caterina regelrecht zu schreien.
»Dämonen sind es und keine Heiligen, die jenen ihre flammenden Worte eingeben, und den verderbten Worten folgen Taten, die noch um vieles schrecklicher sind. Sie reden von Sünde – und sind doch selber die verderbtesten Sünder, die die göttliche Ordnung infrage stellen. Und wie steht es um ihre Zuhörerschaft? Viele sind verblendet, sehnen sich nach Erlösung und saugen dieses Gift wie süßen Nektar in sich ein. Ich aber sage euch: Keiner von diesen Törichten wird jemals die Pforten des himmlischen Reiches durchschreiten, denn sie alle sind ausnahmslos Geschöpfe Satans.«
Erschöpft von ihrem überraschenden Ausbruch sank Caterina in sich zusammen. Schon waren zwei der älteren Mantellatinnen aufgesprungen, um ihr zu Hilfe zu eilen, da erhob sie sich wieder. Sie wandte den Kopf und sah nun Gemma direkt an, mit hellen, wachen Augen.
»Du kannst schreiben?«, fragte sie. »Flüssig und einigermaßen fehlerfrei?«
Gemma nickte, zu überrascht, um zu antworten.
»Der Rest meiner Woche ist wie immer dem Fasten und Beten vorbehalten. Aber komm heute in sieben Tagen um die Mittagszeit wieder! Pergament, Feder und Tinte sind im Haus. Zeit musst du mitbringen. Ein paar Stunden werden wir schon brauchen.«
Caterina senkte den Blick auf ihren Rosenkranz. Unmissverständlich, dass sie jetzt allein sein wollte.
»Sie hat dich als Sekretär erwählt, ausgerechnet dich, welch unvorstellbare Ehre!« Lina war kaum zu beruhigen, als sie Seite an Seite das Haus der Färberfamilie verließen.
Jetzt lief der junge Sommer dem Frühling immer mehr den Rang ab. Die Tage waren sonnig und lang; die Nächte lau, erfüllt vom Duft der Blumen, die in den unzähligen handtuchbreiten Gärten im Schatten der Steinhäuser zwischen Obstbäumen und Kräuterbeeten wucherten.
»Ich weiß nicht so recht.« Gemma zog die Brauen zusammen. »Irgendwie macht sie mir Angst.«
»Angst? Wieso denn Angst? Caterina ist schon jetzt eine Heilige!«
»Für mich ist sie eine junge Frau, die nichts isst, viel betet und merkwürdige Dinge sagt. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Wie kannst du es nur wagen, derart respektlos über sie zu reden!« Mamma Lina war mitten auf der Gasse stehen geblieben. Wenn sie sich aufregte, verlor ihr anmutiges Gesicht jede Farbe. »Spürst du denn nicht, wie besonders sie ist? Wie ganz und gar einzigartig? Ich kann dich beim besten Willen nicht verstehen, Gemma!«
»Ich bin nicht respektlos«, sagte Gemma. »Ich werde nur gern zuvor gefragt, ob ich etwas tun möchte oder nicht. Das ist alles. Vom Kommandiertwerden habe ich nach den Jahren mit Lupo die Nase gründlich voll.«
»Das kannst du doch nicht miteinander vergleichen!« Lina war noch immer äußerst empört. »Dein Mann, vor dem du fliehen musstest – und diese reine, unbefleckte Frau!«
»Wenn es dir schon als solch ungeheure Ehre erscheint, Sekretär für Caterina Benincasa zu spielen, warum tust du es dann nicht selber?«
»Mich hat sie nicht beauftragt. Und außerdem hab ich niemals Schreiben gelernt.« Linas Schultern sackten herab, und sie schien sich langsam wieder zu beruhigen. »Ich musste mich früh alleine durchschlagen. Da war keine Zeit für Buchstaben, Tinte und Pergament.«
»Und dein Mann?« Gemma war entschlossen, die günstige Gelegenheit beim Schopf zu packen. »Hat er es dich nicht später irgendwann gelehrt, solange er noch am Leben war?«
Lina hatte plötzlich dringend etwas an ihrem Schleier zu nesteln und blieb stumm.
Eine Weile gingen sie schweigend weiter, bis sie einem Karren mit Häuten ausweichen mussten, die offenbar direkt aus der Gerberei kamen. In der warmen Vormittagssonne war der beißende Uringeruch, den sie verströmten, unerträglich. Beide wandten sich ab, doch der Gestank verfolgte sie noch eine ganze Weile.
»Ich könnte es dir doch beibringen«, schlug Gemma vor, als sie wieder einigermaßen frei atmen konnten. »Und ebenso den Kindern, wenn du willst.«
Lina fasste nach ihrem
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