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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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sagen, dass Sodomiten den Kleinen umgebracht haben?«, rief der Bärtige. »Dass sie ihn getötet haben, nachdem er für ihre abartigen Lüste herhalten musste? Woher willst du das alles wissen, padre? Hast du denn auch Beweise für deine kühnen Behauptungen?«
    »Denn Gott hasst die Bösen«, gellte Bernardo zurück, »und den Frevlern vergilt er ihre schlimmen Taten mit Strafen. Allein die Gottesfurcht hält schlimme Sünden fern. Nur wer in ihr verbleibt, kann seine Seele retten.«
    »Ja, er hat recht. Ich glaube ihm. Nieder mit diesen verdammten Sodomiten! Brennen sollen sie!«, schrie eine jüngere Frau. »Brennen bis zum Jüngsten Tag. Für diese Höllenbrut ist sogar ein lodernder Scheiterhaufen noch zu schade.«
    »Es liegt an euch, an euch allein, ob sie ihre gerechte Strafe erhalten. Öffnet Augen und Ohren – seid wachsam! Sie können sich überall verbergen, nah und fern, vielleicht sogar in eurem eigenen Haus. Es liegt allein an euch, sie …«
    Die Menge war nicht mehr zu halten. Immer enger schob sie sich nun an den Prediger heran, als lechze sie, seine Nähe zu spüren. Noch gelang es den jugendlichen Kuttenträgern, ihn mit ihren Leibern wie mit einer lebendigen Mauer abzuschirmen, doch die Menschen drängten unaufhaltsam weiter vorwärts.
    Auf ein Zeichen des Predigers hin fassten einige der Engel unter ihre Kutten, zogen Stöcke heraus und begannen auf die Umstehenden einzuschlagen. Von diesen wichen ein paar sofort erschrocken zurück, andere jedoch begriffen offenbar zunächst nicht, was gerade vor sich ging, und bekamen reichlich Prügel ab.
    »Aus dem Weg!«, schrien die Engel dabei. »Macht Platz für den ehrwürdigen padre !«
    Sie achteten nicht darauf, wen sie trafen. Einigen der Jugendlichen schien es sogar Spaß zu bereiten, wenn jemand schmerzerfüllt aufjaulte, zusammenzuckte oder niedersank. In Gemmas Nähe waren es zwei, die besonders eifrig am Werk waren, ein muskulöser Blonder, der den schlankeren Dunkelhaarigen neben sich anfeuerte.
    »Mach schon, kleiner Bruder! Zeig es ihnen, mein Giovanni! Jeder von ihnen hat es mehr als tausendmal verdient.«
    Ihr brutales Vorgehen war durchaus erfolgreich: Zwischen den sich drängenden Leibern öffnete sich eine schmale Gasse, durch die der Prediger schlüpfen konnte.
    Gemma, mitgerissen vom Strom derer, die ihm zu folgen versuchten, stemmte sich zunächst vergeblich dagegen. Schließlich nahm sie ihren Mut zusammen und duckte sich unter dem Arm eines dicken Mannes hindurch. Doch dessen Hintermann war schon viel zu dicht aufgerückt. Unvermutet zwischen zwei Körper eingeklemmt, spürte sie, wie ihr die Luft knapp wurde, und sie ruderte wie wild mit den Armen, um wieder aufzutauchen. Sie musste noch einen Tritt gegen das Schienbein und einen derben Rempler in den Rücken einstecken und hackte selber mit dem Absatz auf einen Fuß ein, der sich ihr dreist in den Weg stellte – dann hatte sie sich endlich befreit.
    Während sie noch nach Atem rang und ihr Kleid ordnete, sah sie ein Stück entfernt eine Gestalt auf dem Boden liegen. Es war die Frau im grünen Kleid. Sie hatte die Augen geschlossen und rührte sich nicht. Aus einer Wunde auf der Stirn rann Blut über ihr blasses Gesicht.
    Gemma kniete neben ihr nieder. »Hört Ihr mich? Könnt Ihr Euch bewegen?«
    Ein dumpfer Laut drang aus dem Mund der Frau. Dann sah Gemma, wie sie ihren rechten Arm ein winzi ges Stück hob. Er sank erschöpft wieder herab, doch nach einer Weile folgte ihm der linke, schließlich bewegten sich nacheinander auch beide Beine.
    Gemma beugte sich tiefer über sie.
    »Das ist schon mal gut«, sagte sie. »Aber was ist mit Eurem Kopf? Könnt Ihr klar sehen? Oder ist alles eher verschwommen?«
    »Wo ist er …«, glaubte sie zu hören. »Mein Kopf! Mein Kopf … tut so weh … Er hat mich getötet …«
    »Nein, Ihr lebt!«, rief Gemma. »Aber Ihr blutet, und mit einer Kopfverletzung, wie Ihr sie habt, ist niemals zu spaßen.«
    Was konnte sie nur tun? Unschlüssig schaute sie sich um. Der eben noch überfüllte Platz leerte sich zusehends. Und die wenigen Frauen und Männer, die noch in Rufweite waren, schienen nur noch darauf bedacht, so schnell wie möglich unbehelligt fortzukommen. Gemma überlegte nicht mehr lange, griff unter ihren Saum und riss entschlossen ein Stück von ihrem Unterkleid ab. Sie drückte den Stoff gegen die Wunde, um die Blutung zu stillen.
    »Wer seid Ihr?«, hörte sie die Frau murmeln. »Ein Engel?«
    »Das glaub ich kaum«, sagte Gemma.

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