Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
Zimmer mit seinen schlichten, aber liebevoll gestalteten Möbeln die Welt noch halbwegs in Ordnung. Bald jedoch gewannen andere Gedanken in ihr die Oberhand, drängend, schwer, viel zu lang schon aufgeschoben. Sie konnte es sich nicht leisten, den halben Tag faul im Bett herumzuliegen, dazu musste viel zu Wichtiges erledigt werden.
    Gemma stand auf, wusch sich und wählte danach mit Bedacht eines ihrer besten Kleider aus. Es war aus leuchtend blauer Baumwolle gefertigt, und eine luftige cotta mit geprägten weißen Damastlilien gehörte dazu, die sie besonders frisch wirken ließ. Das dichte braune Haar bändigte sie nicht ohne Mühe mithilfe des silbergewirkten Netzes, das schon ihre Mutter getragen hatte.
    Der halb blinde Spiegel warf ein Bild zurück, das ihr einigermaßen gefiel. Viel wichtiger aber war heute, dass der Vater Gefallen an seiner Ältesten finden würde. Wie sehr sie sich danach sehnte, ihm endlich alles zu offenbaren!
    Doch als sie am Fuß der Treppe angekommen war, wurde Bartolos Aufmerksamkeit von etwas anderem in Anspruch genommen. Die Eingangstüre war offen, und Mario stand mit hängenden Mundwinkeln da. Keine Spur mehr von dem kleinen, wortkargen Fremdling in schmutzigen Reisekleidern. Heute sah er aus wie ein echter signore , denn er trug zum ersten Mal das festliche Gewand der Contrade Selva , zu der die Familie Santini seit Generationen gehörte. Rote Beinlinge umschlossen seine schlanken, erstaunlich gut geformten Schenkel; die Schecke aus feinster schwarz-roter Seide reichte bis zur Hüfte und gab den Blick auf ein gleichfarbiges Wams frei, unter das ein weißes Batisthemd gehörte. Mitten auf der Brust prangte das gestickte Wappen: ein Nashorn in leuchtendem Violett, das sich an einem ausladenden Laubbaum rieb.
    War er nicht gewachsen? Gleichzeitig kamen Gemma seine Hüften eine Spur runder vor, als sie es noch vor einigen Wochen waren, was eigentlich gar nicht zusammenpasste. Aber er fing offenbar an, sich in der neuen Heimat nicht nur wesensmäßig, sondern auch körperlich zu verändern. Wenigstens kann er sich bei uns gründlich satt essen, dachte Gemma, was bei ihm zu Hause wohl nicht die Regel war. Und vielleicht wird ja eines Tages doch noch ein richtiger Kerl aus ihm.
    »Sieht er nicht prächtig aus?« Bartolos Lächeln war voller Stolz. »Und was unser Junge erst beim Palio für eine blendende Figur abgeben wird!«
    »Ich weiß nicht so recht«, stieß Mario hervor. »Ich glaub, das mit dem Trommeln ist nicht so ganz meine Sache. Kann ich nicht lieber etwas anderes machen?« Er schielte nach dem Abakus, und wie zum Beweis sanken seine schmalen Hände mit den hölzernen Schlägeln mutlos herunter.
    »Was für ein Unsinn!« Bartolo war in seinem Überschwang kaum zu bremsen. »Deine Mutter hat den Rhythmus schon als kleines Mädchen im Blut gehabt. Wie sollte es dann bei ihrem Sohn anders sein?«
    Er riss ihm die Trommel regelrecht vom Hals und hängte sie sich selber um. Danach nahm er ihm die Schlägel aus der Hand. Die Türe bekam einen kräftigen Tritt und sprang ganz auf. Schon war Bartolo mitten auf der Straße und begann laut trommelnd auf und ab zu marschieren. Dazu schmetterte er aus voller Brust das alte Lied seiner Contrade:

    »Nel nostro cuor, vibra l'amor, Che trepidar ci farà.

    Si vincerà, lo sento già, e festa grande sarà! O selva, selvina va …«

    »Was bist du nur für ein Kindskopf, Bartolo!« Lavinia kam ihm keuchend nachgelaufen. Ihr voller Busen hüpfte, und das helle Haar befand sich wieder einmal in Auflösung, was sie, wie Gemma wusste, ganz besonders hasste. Ihr Gesicht war schweißnass. Die späteren Jahre der Weiblichkeit machten ihr sichtlich zu schaffen. »Musst du dich unbedingt zum Gespött der ganzen Nachbarschaft machen? Komm jetzt sofort wieder ins Haus, und führ dich gefälligst so auf, wie es deinem Alter und deinem Stand entspricht!«
    »Ich werd mich doch noch freuen dürfen!«, begehrte er auf, folgte ihr aber doch gehorsam. »Jahrzehnte ist es her, seit ein Santini beim Einzug der Reiter die Contradentrommel schlagen durfte. Was glaubst du, Frau, hat mich dieses unerwartete Entgegenkommen der contradaioli gekostet? Nicht gerade wenig, das kann ich dir sagen! Aber dieses köstliche Vergnügen ist mir jede ausgegebene Lira dreifach wert.«
    Die Schlägel wanderten zurück in Marios Hände.
    »Jetzt weißt du, wie es geht«, sagte Bartolo augenzwinkernd. »Also einfach nachmachen!«
    »Kann ich nicht lieber rüber ins Kontor?«,

Weitere Kostenlose Bücher