Die Sünderin von Siena
fragte der Junge. »Die Bücher …«
»… werden sich schon nicht gleich in Luft auflösen, wenn du sie dir mal einen einzigen Tag nicht vornimmst. Sei also ganz unbesorgt, mein Junge! Jetzt wird ordentlich geübt, damit du mir später im Kreis der anderen Trommler keine Schande machst.«
»Noch hat das Losverfahren nicht stattgefunden«, wand te Lavinia schmallippig ein. »Und auch danach ist das noch lange keine Garantie, wie du selber ganz genau weißt. Was, mein über alles geschätzter Gatte, wenn unsere Contrade in diesem Jahr gar nicht an den Start darf? Dann hättest du all das schöne Geld ganz umsonst verschwendet.«
» Selva wird antreten, das kann ich dir versichern!«, herrschte Bartolo sie ungewohnt heftig an. »Unsere Contrade des Waldes müsste längst wieder einmal an der Reihe sein. Und hat außerdem mit diesem Reiter, den wir unter unzähligen Bewerbern ausgesucht haben, die allerbesten Aussichten zu gewinnen, so wahr uns die allerheiligste Jungfrau beschützt!«
Er beäugte den Jungen von Kopf bis Fuß.
»Du wirst nicht nur mit den Trommlern, sondern auch mit den Fahnenwerfern tüchtig üben müssen«, sagte er. »Damit ihr nicht aus dem Takt kommt. Denn ein Zug ohne Takt ist eine mehr als traurige Angelegenheit und verdient es nicht, den Sieg zu erringen. Hast du die Burschen schon kennengelernt? Bruno und Gaetano haben mir in die Hand versprochen, dir alles ganz genau beizubringen.«
»Allerdings.« Marios Gesicht wirkte plötzlich noch trübseliger. »Aber ich mag sie nicht, wenn ich ehrlich sein soll. Die sind auch nicht anders als deine rohen Remos und Lorenzos! Einen Faustkampf wollten sie mit mir auf der Stelle anzetteln, einfach so, aus schierem Übermut. Dabei hatte ich nicht die geringste Lust, mich grundlos mit ihnen zu prügeln.«
»Ein bisschen Mühe musst du dir schon geben, mein kleiner tedesco , wenn du ein echter Sieneser werden willst!« Bartolos Stimme klang plötzlich streng. »Mem men sind nämlich so gar nicht nach meinem Geschmack. Was ist denn schon dabei, sich unter Freunden zu balgen? Das haben wir schließlich alle gemacht, als wir jung waren!«
»Aber die beiden haben mich sofort …«
Bartolo ließ ihn nicht ausreden.
»Ich verlange ja nicht von dir, dass du als f antino der Contrade als Erster mit dem sattellosen Ross über die Zielgerade preschst! Du sollst dich nur wie ein angehender Mann benehmen, mehr will ich gar nicht. Könnte es vielleicht sein, dass du daheim in eurem Augsburg zu oft mit deiner jüngeren Schwester zusammengesteckt hast?«
»Hab ich nicht! Und außerdem ist Mari…« Tiefes Rot ergoss sich über die Wangen des Jungen.
»Auf jeden Fall ist es jetzt genug mit diesem weibischen Gehabe! Man könnte ja fast denken, du seist eine meiner Töchter, die auch immer etwas zu meckern und zu maulen haben. Du übst heute fleißig, deine Trommel zu schlagen – und fertig! Denn du weißt ja, Mario, wir beide müssen schon sehr bald fort.«
Erst jetzt schien Bartolo Gemma richtig wahrzunehmen.
»Und du, mein Mädchen?«, sagte er. »Ich hoffe nur, ich bekomme keine neuerlichen Hiobsbotschaften zu hören.«
Ihr Herzschlag schien einen Moment auszusetzen, dann ging er schnell und regelmäßig weiter.
»Ich muss dich sprechen, Vater«, sagte sie. »Allein.«
»Aber ich muss jetzt dringend rüber ins Kontor.« Er klang ausweichend. »Du hast ja keine Ahnung, wie viel vor unserer Abreise noch zu erledigen ist!«
»Bitte!« Gemma legte die Hand auf seinen Arm. »Es ist wichtig.«
Jetzt konnte Bartolo nicht mehr aus. Unter dem argwöhnischen Blick Lavinias, die sofort den Hals reckte, aus Angst, es könne ihr auch nur das Geringste entgehen, schien er regelrecht zu schrumpfen.
»Also gut. Komm mit!«, sagte er schließlich. »Dann bin ich wenigstens zur Stelle, falls wichtige Kunden mich noch sprechen wollen.«
Lavinia blieb nichts anderes übrig, als Mann und Stieftochter ziehen zu lassen, schaute ihnen aber beleidigt hinterher. Auf der anderen Straßenseite riss Luca die Ladentür auf, kaum hatte er die beiden erblickt, und begrüßte Gemma überschwänglich. Bartolo Santini jedoch ließ ihn kaum ausreden.
»Keine Störung innerhalb der nächsten Stunde!«, befahl er. »Monna Gemma und ich wollen in Ruhe gelassen werden.«
Nachdem sie endlich zu zweit waren, breitete sich zunächst Schweigen aus. Womit sollte sie beginnen, damit er ihr auch zuhörte? Wieder einmal rang Gemma um die richtigen Worte.
»Das mit eurem verlorenen Schiff tut mir
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