Die Sünderin von Siena
Vieh, das er nach seinem Gutdünken benutzen kann. Weißt du, was das für mich bedeutet hat? Wie ein Stück Dreck bin ich mir vorgekommen, als gehörte ich in die schmutzigste Gosse, denn das und Ähnliches mehr hat er bestimmt tausendmal zu mir gesagt …«
»Habt ihr deshalb bis zum heutigen Tag keine Kinder bekommen?«
Der empfindlichste Punkt, den Bartolo ohne Umschweife getroffen hatte. Aber weshalb sollte nicht gleich alles auf den Tisch kommen? Gemma machte einen tiefen Atemzug.
»Wie sollst du ein Kind empfangen, wenn dein Mann dir nicht mehr beiwohnt? Ich konnte nicht schwanger werden, denn seine widerlichen Spiele treibt er längst mit käuflichen Frauen. Dass das Geld kostet, trifft ihn sicherlich, weil sein immenser Geiz dabei aufjault, aber bleibt ihm eine andere Wahl? Und vielleicht macht ihn diese unbändige Wut nur noch geiler – und unberechenbarer.«
Bartolo wischte sich ausgiebig mit einem Leinentuch über Gesicht und Hals. »Hat er dich etwa auch gezüchtigt?«, fragte er leise. »Ich muss die Wahrheit wissen.«
Gemma nickte.
»Anfangs ja, und das mehr als einmal, aber ich hatte offenbar nicht genügend Angst dabei gezeigt, und das hat ihm den Spaß daran bald verdorben. Doch es gibt weitaus Schlimmeres als Weidenruten oder eingeweichte Lederschnüre, die auf nacktes Fleisch klatschen. Lupo hat mich herabgesetzt, Tag für Tag, mit Worten, Blicken, mit seinem eisigen Schweigen, das tiefer schneidet als das schärfste Messer. Schließlich hab ich mich nur noch minderwertig und hässlich gefühlt, als etwas, das es gar nicht anders verdient hat, derart abscheulich behandelt zu werden …« Gemma schluchzte laut auf. »Er hatte mich schon beinahe so weit, verstehst du, Vater? Denn das war sein perfider Plan. Nicht er würde mich töten, das würde ich schon ganz allein besorgen. Nicht mehr lange – und ich hätte mich aus schierer Verzweiflung von der Bauruine des Doms in den Tod gestürzt.«
Bartolo trat zu seiner Tochter, hob die Hände und ließ sie wieder sinken.
»Man kann es kaum glauben«, sagte er schließlich. »Nach außen hin wirkt er stets so ehrsam und beherrscht …«
»Beherrscht genug, um nicht nur die Tochter zugrunde zu richten, sondern auch gleichzeitig in eiskalter Ruhe den Vater um seinen Anteil zu betrügen.« Gemmas Stimme klang bitter. »Denn darauf hatte Lupo es von Anfang an abgesehen.«
Bartolos Gesicht war wie versteinert. Lehnte er sie nun auch ab, jetzt, da er alles wusste? War sie ihm nach ihrem freimütigen Geständnis widerlich geworden, war seine Liebe zu ihr verflogen? Genau aus diesem Grund hatte sie so lange geschwiegen. Aus schierer Angst, sich beim Aufzeigen dieses Abgrundes selbst zu beschmutzen. Ihre Augen flehten um eine Antwort, um die richtige Antwort.
Doch der Vater ließ sich reichlich Zeit.
»Sieht so aus, als hätten wir einen großen Fehler gemacht«, sagte er schließlich. »Einen Fehler, an dem wir schwer und lange zu tragen haben werden, mein Mädchen. Ich hätte besser nicht auf Lavinia hören sollen. Denn sie war es, die mir diese Verbindung erst richtig schmackhaft gemacht hat. Und dann auch deine Begeisterung! Damals war ich überzeugt, dir den allergrößten Gefallen zu tun. Da siehst du, wie sehr man sich täuschen kann!« Zögernd und vorsichtig berührte er ihren Kopf. »Weshalb hast du niemals etwas gesagt, nicht ein einziges Wort? Du hättest mit mir reden sollen – viel früher schon!«
»Ich hab mich so bitterlich geschämt«, flüsterte Gemma. »Hab mich besudelt und beschmutzt gefühlt und dachte zunächst, alles sei allein meine Schuld. Aber Lupo meint gar nicht mich, das weiß ich inzwischen. Sein Hass und seine Wut sind irgendwie … unpersönlich. Das Böse steckt tief in ihm und hat sich lediglich an mir entladen.« Sie nahm Bartolos Hand, presste sie gegen ihre Wange. »Er darf mich nicht zwingen, zu ihm zurückzukehren. Niemals! Das musst du mir versprechen, Vater! Ich habe mich gegen ihn aufgelehnt, ihn seiner Meinung nach vor der ganzen Stadt herabgewürdigt. Das wird er niemals vergessen. Seine Rache an mir würde schrecklich ausfallen – vielleicht sogar tödlich.«
Wenn du dieses Haus verlässt, bist du tot.
Da war er wieder, jener Satz, den sie am liebsten für alle Zeit vergessen hätte. Die Worte lagen ihr schon auf der Zunge, aber Gemma wollte sie jetzt nicht aussprechen, um ihnen nicht noch mehr Gewicht zu geben. Ungeduldig wartete sie auf Bartolos Nicken, und als sie es schließlich wahrnahm,
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