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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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durchflutete sie eine Welle der Erleichterung.
    »Das alles hast du in dir getragen.« Er klang tief erschüttert. »Und bist damit lieber zu fremden Menschen gelaufen, als dich deinem alten Vater anzuvertrauen. Weißt du, dass mich das sehr traurig macht, Gemma? Wir sind doch eine Familie!«
    »Ich wollte es dir ja sagen, viele, viele Male, aber ich konnte es nicht. Und die Menschen, von denen du sprichst, sind längst Freunde für mich geworden – und keine Fremden mehr.« Gemma schaute ihn mit leuchtenden Augen an. »Du musst sie ganz bald kennenlernen. Du wirst sie mögen, alle miteinander, das weiß ich: Mamma Lina, die so tapfer ihr kleines Haus mit den Waisen führt, Lelio und Mia, die beiden Ältesten, die schon so viel durchgemacht haben, Cata, die manche zu Unrecht für dumm halten, die aber in Wirklichkeit alles spürt und alles sieht, Raffi mit seinen wirren Locken, Angelina, die die Stirn fast wie du krauszieht, wenn ihr etwas nicht passt. Und dann war da natürlich auch Mauro, unser lieber, kleiner Mauro, den wir für immer verloren haben …«
    Sie hielt inne, weil Bartolo einen seltsamen Ton von sich gegeben hatte. Die eben noch frische Farbe seines Gesichts war verflogen; jetzt wirkte es ungesund und fahl.
    »Diese Kinder«, brachte er mühsam hervor, »sie leben alle bei jener Frau?«
    »Das tun sie.«
    »Seit wann? Weißt du das auch?«
    »Erst seit ein paar Monaten. Zuvor waren die meisten von ihnen im Hospital untergebracht. Es sind alles getatelli. Aber bei Mamma Lina geht es ihnen sehr viel besser.«
    Wieso interessierte ihn das eigentlich alles? Gemma wurde zunehmend verwirrter, weil sie keine plausible Antwort fand. Doch Bartolo war mit seinen Fragen noch nicht zu Ende.
    »Wie alt sind sie?«
    »Lelio und Mia? Elf, vielleicht auch zwölf, vermute ich. Raffi dürfte sechs oder sieben sein, Cata und Angelina schätze ich auf ungefähr fünf. Aber was ist auf einmal mit dir?«, rief sie. »Bist du so außer dir, weil du von Mauros plötzlichem Ableben gehört hast? Ich für meinen Teil glaube nicht mehr an einen natürlichen Tod, Vater! Da steckt etwas anderes dahinter. Cata hat etwas gesagt, dass ich nicht mehr vergessen kann. Vielleicht hat dem Kleinen jemand etwas angetan. Dann allerdings muss dieser Mörder unbedingt gefasst werden!«
    Bartolo nickte geistesabwesend und Gemma wusste genau, dass diese Geste nichts mit dem zu tun hatte, was sie soeben gesagt hatte. Er hatte ihr nicht einmal richtig zugehört, so tief schien er in Gedanken versunken. Mit hängenden Schultern schlurfte er hinüber zu seinem Pult, schlug den obersten Folianten auf und begann darin zu blättern, als sei sie nicht mehr anwesend.
    »Vater?«, sagte sie. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
    Keine Antwort.
    »Soll ich jetzt gehen?«
    Bartolo blieb stumm.
    Sie konnte auf keine Antwort mehr hoffen. Es war besser, ihn jetzt allein zu lassen. Ihre Fragen und Zweifel aber nahm Gemma mit sich.

    ❦

    Wie sehr er sie vermisste!
    Ihre Stimme, ihre Haut, ihren Duft. Ihr Lachen. Die Art, wie sie beim Gehen die Hüften bewegte – einfach alles an ihr. Am liebsten wäre Matteo auf der Stelle zu Gemma gelaufen, um sie in die Arme zu nehmen und ihr zuzuflüstern, was er inzwischen alles erlebt hatte. Doch er wagte nicht, das Haus ihres Vaters zu betreten. Welch einigermaßen plausible Ausrede hätte er auch vorbringen können? Das Bild, an dem er arbeitete? Einen glaubwürdiger klingenden Vorwand? Lieber strengte er sich an, es noch eine Weile ohne sie auszuhalten, und in der Zwischenzeit hoffte er auf ein zufälliges Treffen mit der Geliebten.
    Wir müssen vorsichtig sein, hatte Gemma ihm beim letzten Treffen eingeschärft, noch vorsichtiger als bisher . Wie recht sie damit gehabt hatte!
    Matteo konnte Celestinas Gesichtsausdruck nicht vergessen, die ihm beim Verlassen des Hospitals in der ersten Dämmerung aufgelauert hatte, um ihn an seinen Schwur zu erinnern. So gierig hatte sie ihn dabei mit ihrem Krötengesicht angesehen, so verzweifelt und gleichzeitig drängend, dass er sich hatte abwenden müssen. Inzwischen bedauerte er, dass er sich dieses seltsame Verspre chen jemals hatte abringen lassen, weniger, weil er sich vor dem Akt der Einlösung ekelte, sondern weil ihm klar geworden war, dass ihre Freundschaft sich dadurch unweigerlich in Feindschaft verwandeln würde.
    Vor allem Gemma durfte niemals etwas davon erfahren, das hatte er sich geschworen. Vielleicht fiel ihm ja noch ein Ausweg ein, sodass sich niemand verletzt

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