Die Sünderin
Gründe geben. Mich hat sie auch von Anfang an belogen. Monatelang hat sie mir erzählt, Margret sei ihre Mutter. Und ihr Vater sei gestorben, kurz bevor sie vierzehn wurde. Erst als wir das Aufgebot bestellten, kam das raus. Da hätte ich sie besser sausen lassen. Sagen Sie mal, wie ist das eigentlich? Sie hat mich doch auch verletzt. Da müsste ich sie doch anzeigen können wegen Körperverletzung. Oder zählt das nicht, wenn man verheiratet ist?»
Gereon Bender hatte noch mehr gesagt. Er hatte eingeräumt, dass es im letzten halben Jahr nicht mehr so rosig um seine Ehe bestellt gewesen war. Noch ein Punkt, in dem er sich getäuscht und hintergangen fühlte. «Ein bisschen prüdewar sie immer. Aber ich hatte trotzdem das Gefühl, dass es ihr Spaß macht, dass sie es nur nicht zeigen will. Aber seit Weihnachten …»
Das Radio im Schlafzimmer und diese besondere Zärtlichkeit mit äußerst unangenehmen Folgen. Gereon Bender hatte sich ein wenig geniert, war dann aber doch ins Detail gegangen, sogar mit dem exakten Ausdruck. Oraler Sex. «Jetzt denken Sie nicht, ich hab das von ihr verlangt. Hätte ich nie getan. Ich wollt’s mal für sie besonders schön machen. Und sie hat mir fast das Genick gebrochen.»
Seit er das gehört hatte, beschäftigte sich Rudolf Grovian wieder mit dem Verdacht, der ihm im Verhör gekommen war. Kindesmissbrauch. Es passte besser zu Drogen und Ekel. Und ihr letzter Ausbruch passte auch. Da hatte sie nun wirklich zu dick aufgetragen. Von einer Katastrophe in die andere geschlittert. Und lassen Sie meinen Vater in Ruhe! Er ist ein alter Mann! Den sie ihrem Mann gegenüber für tot erklärt hatte.
Der Kern ihrer Geschichte, dass sie irgendwann die Szene erlebt hatte, die sie vor ihrem Zusammenbruch schilderte, glaubte er immer noch. «Ich habe gehört, wie ihre Rippen brachen.» So etwas sog sich niemand aus den Fingern. Aber dass Georg Frankenberg an diesem Horrorszenario beteiligt gewesen sein könnte, mit dieser Ansicht stand er allein.
Sogar Mechthild, die sich, wenn sie nicht gerade mit der Tochter beschäftigt war, gerne auf Seiten der Täter schlug und eine Litanei von Entschuldigungen fand, die in der Ansicht gipfelten, die Leute müssten eigentlich auf freien Fuß gesetzt werden, stimmte diesmal mit Staatsanwaltschaft, Werner Hoß, Untersuchungsrichter und der Presse überein.
Ein unschuldiger Mann, noch dazu ein Arzt, hatte wegen irgendeinem Wahnsinn sterben müssen. Ärzte waren für Mechthild unantastbare Personen, nicht unfehlbar, aber Leute, denen man sich auslieferte, zu denen man zwangsläufigvertrauensvoll aufschaute, damit einen nicht das kalte Grausen überkam, wenn sie ein Messer in die Hand nahmen.
Cora Bender hatte einen dieser vertrauenswürdigen Männer ausgelöscht, von dem die Presse behauptete, er habe nur für seinen Beruf gelebt. Da gab es kaum Gnade in Mechthilds Augen. Sie hatte am Montagmorgen in der Zeitung davon gelesen und den Faden dankbar aufgegriffen, um jeder Diskussion über die bevorstehende Trennung von Tochter und Schwiegersohn aus dem Weg zu gehen.
Er hatte es nicht auf Anhieb durchschaut, hatte sich ehrlich und aufrichtig gefreut, dass Mechthild sich nach langen Jahren wieder einmal für seine Arbeit interessierte und ihm Gelegenheit bot, sich etwas von der Seele zu reden. Leichter war ihm allerdings nicht geworden.
Zwar erkannte Mechthild in Cora Benders Kindheit einen mildernden Umstand. Doch als er zum Ende kam, sagte sie: «Ich möchte nicht in deiner Haut stecken, Rudi. Wie ist dir zumute, wenn du so einer armen Kreatur den Rest geben musst?»
«Ich habe nicht vor, ihr den Rest zu geben», protestierte er.
Und Mechthild lächelte nachsichtig. «Was hast du dann vor, Rudi? Sie hat vor hundert Leuten einen Arzt erstochen. Da kann man ihr doch nicht auf die Schulter klopfen.»
«Wenn ich beweisen kann …»
«Rudi», unterbrach Mechthild ihn. «Mach dir doch nichts vor. Du kannst beweisen, was du willst, es stellt sich hier nur die Frage Haft oder Psychiatrie.»
Sie hatte Recht, er wusste das. Aber er wusste nicht, ob er jemals den Beweis fand, dass es eine Verbindung zwischen Frankie und Cora gegeben hatte. Vor fünf Jahren mochte zwischen Mai und November für Cora Bender die Welt untergegangen oder sonst etwas passiert sein, was ihr Grund gab zu schwindeln, dass sich die Balken bogen, was ihre Tante veranlasste, sich nach ihrer freiwilligen Aufklärungsaktionschnellstmöglich abzusetzen. Über Georg Frankenberg hatten sie
Weitere Kostenlose Bücher