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Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Spitzmaus. Graues Haar, das ihr bis zur Taille reichte. Es sah aus, als sei es wochenlang nicht gewaschen worden. So roch es auch, ein säuerlich muffiges Aroma umgab die Gestalt wie ein zu weit geschnittener Mantel. Für eine Frau war sie groß, hätte ihn wohl um einige Zentimeter überragt, wenn sie sich aufrecht gehalten hätte. Doch sie stand da, als trüge sie eine Zentnerlast auf den Schultern. Eine verblichene ehemals bunte Kittelschürze schlotterte um ihren Körper.
    Im Vorbeigehen fasste Grit Adigar nach der Schulter der Frau: «So haben wir nicht gewettet, Elsbeth! Zuerst wird der Teller leer gegessen, dann kannst du weiterbeten.»
    Die Frau reagierte nicht, musterte Rudolf Grovian mit leicht geneigtem Kopf und erkundigte sich: «Sucht er die Hure?»
    «Nein. Er möchte mit Wilhelm reden. Ich kümmere mich darum.»
    Etwas wie ein Lächeln glitt nach Grit Adigars Erklärung um die dünnen Lippen der Jammergestalt, begleitet wurde es von einem bedächtigen Nicken. «Der Herr war mit seiner Geduld am Ende und hat ihn bestraft. Er hat ihm die Stimme genommen und die Kraft. Er hat ihn aufs Lager geworfen, er wird sich nie wieder erheben.»
    Es war ein gewaltiger Unterschied, Cora Bender von ihrer Mutter sprechen zu hören, sich ein paar Gedanken dazu zu machen und dann die Mutter leibhaftig vor sich zu sehen und sie sprechen zu hören. Trotz der sommerlichen Temperaturen spürte Rudolf Grovian ein Frösteln. Die Vorstellung eines Kindes, das tagein, tagaus diesem salbadernden Ton ausgesetzt gewesen war, ließ ihn schaudern.
    «Schon gut, Elsbeth», sagte Grit Adigar, packte die Schulter fester und schob das muffige Bündel vor sich her auf die Küche zu. «Du setzt dich jetzt an den Tisch und tust, was dem Herrn gefällt. Er mag leere Teller. Das schöne Essen in den Müll werfen wäre Verschwendung. Und wie er darüber denkt, das weißt du doch.»
    Zu Rudolf Grovian sagte sie: «Kümmern Sie sich nicht um sie. Früher war es schon schlimm mit ihr. Aber seit Montag ist sie völlig durcheinander. Und wenn Sie sich jetzt fragen, wen die gute Elsbeth als Hure bezeichnet, Cora war nicht gemeint. Das galt Margret. Für Elsbeth ist jede Frau eine Hure, die sich auf ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann einlässt.»
    Eine an und für sich überflüssige Erklärung, fand er. Und wenn ihm jemand ungefragt etwas erklärte, wurde er immer hellhörig und fragte sich, wozu es gut sein sollte.
    Dann saßen sie zu dritt an einem alten Küchentisch. Auf einem Schrank an der Seite stand eine stattliche Anzahl gerahmter Fotografien. Auf jeder davon Cora Bender, allein,mit ihrem Söhnchen, mit ihrem Mann, mit beiden. Das Hochzeitsfoto, ein Schnappschuss aus dem Wochenbett und einer vom neuen Haus. Grit Adigar war seinem Blick gefolgt und erklärte weiter ungefragt: «Margret hat regelmäßig Fotos geschickt. Das ist Wilhelms Altar. Stundenlang konnte er hier sitzen und die Bilder betrachten. Er träumte davon, dass sie einmal auf Besuch käme. Dass er seinen Enkel leibhaftig erleben könnte. Aber das hätte sie nie getan. Und ich glaube, er wusste, dass er sie nie wieder sieht.»
    Eine gute Einleitung, fand Rudolf Grovian, um frontal den Punkt anzusteuern, über den er immer wieder stolperte. Von einer Nachbarin war in dieser Hinsicht vielleicht eher etwas zu erfahren als von den Eltern oder einer Tante, die es vorgezogen hatte, nach ihrer freiwilligen Aussage zu verschwinden. «Hat Wilhelm Rosch sich an seiner Tochter vergangen?»
    Grit Adigar riss empört die Augen auf. «Wilhelm? Wo denken Sie hin? Auf so eine Idee kann auch nur ein Polizist kommen. Eher hätte er sich eigenhändig kastriert. Cora war sein ein und alles. Es hat ihn fast umgebracht, als sie damals von hier wegging. Und als Margret am Montag   …»
    Sie berichtete der Reihe nach. Margret Rosch war ihm um zwei Tage zuvorgekommen, nicht untergetaucht, um weiteren Fragen zu entgehen, nur in bester Absicht noch in der Nacht zum Montag nach Buchholz gefahren, um ihrem Bruder schonend beizubringen, was geschehen war. Aber mit Schonung war nicht viel gewesen bei solch einer Nachricht. Wilhelm Rosch hatte einen Schlaganfall erlitten. Es stand nicht gut um ihn. Margret war bei ihm im Krankenhaus.
    Es war am Montag so schnell gegangen, da war keine Zeit geblieben für Erklärungen. Margret Rosch hatte sich bisher einmal telefonisch bei Grit Adigar gemeldet und mitgeteilt, dass es kaum Hoffnung für Wilhelm gab. Und dass vielleicht einer von der Polizei

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