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Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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ich doch seit achtzehn Jahren. Und ich werde ihnen auch beweisen, dass eine Operation möglich ist. Wie viel Geld haben wir inzwischen?»
    Punkt acht, das wusste Magdalena, war die Stunde ihrer Geburt.
    «Du bleibst doch so lange bei mir?»
    «Ich bleibe den ganzen Abend bei dir. Du glaubst doch nicht, dass ich an deinem Geburtstag wegfahre.»
    «Ich will aber, dass du fährst. Wenigstens eine von uns soll richtig feiern. Nächstes Jahr feiern wir beide richtig. Wir geben eine Party, dass die Straße wackelt. Heute musst du es nochmal alleine tun. Du musst ja nicht so lange bleiben wie sonst. Wenn du um elf zurückkommst, bin ich zufrieden. Wir heben uns etwas vom Sekt auf. Und dann erzählst du mir, wie es war. Triffst du dich mit Horst?»
    «Nein. Ich habe ihm letzte Woche gesagt, dass ich heute nicht kann. Er meinte, das macht nichts. Sein Vater hätte ihn schon ein paar Mal gebeten, nach dem Auto zu sehen. Das könne er dann ja machen.»
    «So was Blödes. Aber vielleicht ist er trotzdem da. Nach einem Auto sehen kann ja nicht den ganzen Abend und die Nacht dauern. Und wenn er nicht da ist, amüsier dich mit einem anderen. Ein bisschen Abwechslung kann nicht schaden. Du machst dir zwei schöne Stunden mit einem tollen Kerl, versprich mir das. Und dann kommst du zurück. Und dann   …»
    Das war der 16.   Mai gewesen! Und plötzlich war Oktober. Der Arzt wusste nicht, was in der Zwischenzeit geschehen war. Er lächelte sie an, während er sie Finger, Zehen, Arme und Beine bewegen ließ. «Es fällt Ihnen bestimmt wieder ein. Lassen Sie Ihrem Kopf ein wenig Zeit, sich zu erholen. Und wenn Ihnen nichts einfällt, ich glaube, viel verloren haben Sie nicht.»
    «Ich muss nach Hause», sagte sie.
    «Es wird noch ein Weilchen dauern, ehe wir daran denken können.» Er hob ihren linken Fuß an, piekste mit einer Nadel in die Ferse. Als sie zusammenzuckte, sagte er: «Sehr schön.» Und dann sagte er: «Nun schlafen Sie. Sie brauchen noch viel Ruhe.»
    Er sprach nie sehr viel, wenn er kam. Und außer ihm kam nur eine Krankenschwester. Eine mürrische Person im gleichen Alter wie er, die die Lippen nicht auseinander brachteund keinen Handgriff tat, der nicht unbedingt notwendig war. Sie brachte das Essen, schüttelte das Kissen auf, zog das Laken stramm und wusch sie. Und der Arzt machte Übungen mit ihr, damit die Glieder nicht steif wurden vom Liegen. Er ließ sie rechnen und Gedichte aus der Schule aufsagen, um festzustellen, ob ihr Hirn gelitten hatte unter dem Heroinkonsum und den Schlägen. Er stach die Nadeln in die Kanüle auf ihrem Handrücken, versorgte die entzündeten Armbeugen mit Heilsalbe und wechselte die Flasche unter dem Bett aus. Ein Blasenkatheter.
    Und sie dachte an Magdalena, die sie brauchte, und dass sie so schnell wie möglich heim musste. Magdalena wollte den Ärzten in Eppendorf zeigen, was machbar war. Sie wollte sich operieren lassen in den USA, wenn das Geld für den Flug und die Klinik reichte. Es reichte noch lange nicht. Es fehlte noch eine immens große Summe, die sie beschaffen musste. Daran dachte sie, bis die Injektion ihre Gedanken auslöschte.
    Es gab keinen Tag und keine Nacht in dem kleinen Zimmer. Es gab kein Fenster, nur ein schwaches Licht an der Wand. Jedes Mal, wenn sie die Augen aufschlug, brannte es. Jedes Mal, wenn der Arzt kam, versuchte sie, mehr zu erfahren. Aber viel wusste er nicht.
    «Ich glaube nicht, dass es ein Unfall war», sagte er einmal. «Die Umstände sprechen dagegen. Ein nacktes junges Mädchen ohne Papiere, voll gepumpt mit Heroin.» Er sprach von gravierenden Verletzungen im Vaginalbereich und an anderen Stellen, die für bestimmte sexuelle Praktiken typisch waren und nur einen Schluss zuließen.
    Für ihn hatte sich ein bestimmtes Bild ergeben. Eine süchtige Hure. Eine leichte Beute für einen Perversen, einen Sadisten, einen, der es vorzog zu quälen. Der sein Opfer bewusstlos am Straßenrand ablud, vielleicht in der Annahme, es getötet zu haben.
    «Ich hätte die Polizei verständigen müssen», sagte er.«Aber ich hatte Angst um meinen Führerschein. Und dann dachte ich, Sie sollten selbst entscheiden, wenn Sie wieder dazu in der Lage sind. Die Polizei müsste nach dem äußeren Anschein urteilen. Das wäre so, als ob Sie sich selbst einen Stempel auf die Stirn drücken. Und das halte ich für überflüssig. Sehen Sie, egal, was geschehen ist, egal, wie Sie gelebt haben, Sie sind ohne bleibende Schäden davongekommen. Und Sie sind noch sehr jung,

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