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Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Gespräch, das Sie mit ihr geführt haben! Ist Ihnen nicht klar, dass Frau Benders Suizidversuch nur eine Folge Ihrer Ermittlungstechnik war?»
    Rudolf Grovian konnte sich nicht zu einer Rechtfertigung aufraffen. Dass er kein Wort über den Tod ihres Vaters verloren hatte, hatten sie bereits geklärt. Cora Bender war in aller Eile zu irgendwelchen Untersuchungen abtransportiert worden, immer noch bewusstlos. Er hätte wer weiß was gegeben, die letzte halbe Stunde mit ihr ungeschehen machen zu können. Er verstand selbst nicht mehr, wie er sich zu diesemBlödsinn hatte hinreißen lassen können. «Ich nehme Sie auch wieder mit hinauf.»
    Irrtum! So einfach war es nicht. Er hatte sich darum bemüht. Minutenlang gegen ihre Wangen geklopft, sie beim Namen gerufen, ihr Gesicht mit kaltem Wasser bespritzt, ehe er sich dazu durchringen konnte, sie den Ärzten zu überlassen. Und die ganze Zeit hatte er denken müssen: wenn sie ein Messer in der Hand gehabt hätte   …
    Ihm war ein wenig übel. Aber er war auch zufrieden. Ihre Aufzählung: Genick, Hals, Kehle. Mit Vorsatz getötet? Nein, bestimmt nicht! Wenn sie nicht zufällig den Apfel für ihren Sohn geschält hätte, wäre sie nur mit den Fäusten auf Georg Frankenberg losgegangen und hätte getan, woran man sie vor Jahren gehindert hatte – in einer Situation, in der jeder Schlag erweiterte Notwehr gewesen wäre.
    Über diese Erkenntnis hätte er gerne mit Professor Burthe gesprochen. Nur kam er vorerst nicht zu Wort. Sekundenlang prasselten die Fachausdrücke auf ihn ein. Schizothymer Typus, abgegrenzte Individualzone, bewusster Gegensatz zwischen Ich und Außenwelt, empfindsames, teilweise gleichgültiges Sichzurückziehen von den Mitmenschen. Der Traum-, Ideen- und Prinzipienwelt wurde der Vorrang eingeräumt.
    Es klang sehr eindrucksvoll, nur interessierte es ihn herzlich wenig. Was ihm durch den Kopf ging, war zwar nur die Interpretation eines Laien, aber weit eindrucksvoller. Nach fünf Jahren gab es keine Notwehr mehr. Nach fünf Jahren war es Totschlag. Es sei denn, jemand bewies, dass Cora Bender sich zur Tatzeit nicht am Otto-Maigler-See aufgehalten hatte, sondern in diesem vermaledeiten Keller. Und er konnte das nicht beweisen, er nicht. Das war Aufgabe des Professors.
    Die Strafpredigt ließ er über sich ergehen, ohne eine Miene zu verziehen. Professor Burthe beruhigte sich wiederund wollte wissen, was Cora Bender kurz vor ihrem Zusammenbruch von sich gegeben hatte. Rudolf Grovian umriss die Kellerszene und das vorangegangene Gespräch. Dass sie ihn angegriffen hatte, verschwieg er. Aber ein, zwei Sätze zur Notwehr ließ er anklingen. Und sie hatte ja nicht einmal sich allein, sie hatte dieses andere Mädchen verteidigen wollen.
    Als er zum Ende kam, nickte Professor Burthe kurz. Eine Zustimmung war das nicht. Im Gegenteil! Natürlich kannte Burthe die Kellerszene, er kannte sogar zwei Versionen. Einmal die vom Band mit den gebrochenen Rippen. Und einmal die mit dem Zuhälter auf der Couch.
    Es musste noch eine dritte Version geben, an die Cora Bender niemanden heranließ. Diese dritte Version dürfte das beinhalten, was sich tatsächlich im Keller abgespielt hatte, meinte Burthe. Vermutlich war ihr nur die eigene Lust zum Bumerang geworden. Demzufolge war die Kellerszene nicht von Belang, sie war nur ein winziges Teilstück des schwarzen Kapitels in Cora Benders Leben. Und Cora Bender verteidigte das gesamte Kapitel mit aller Macht gegen jeden Zugriff, notfalls auf Kosten ihrer geistigen Gesundheit. Als ob Rudolf Grovian das nicht schon gewusst hätte.
    Professor Burthe erklärte ausführlich den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge und wie Cora Bender mit beidem umging. In einer Stresssituation hielt sie sich zuerst an die Wahrheit. Wenn sie sich auf die Situation eingestellt hatte und der Druck nachließ, suchte sie ihren Vorteil. Den gab es nur über die Lüge. Allerdings erzeugte die Lüge neuen Druck. Die Erregung, die sie dann zeigte, mochte auf einen Laien wirken, als werde ihm nun das letzte Geheimnis offenbart.
    So war es im Verhör gewesen. Mit ihm versuchte sie dasselbe Spielchen. Aber er war der Fachmann, ihn konnte man nicht an der Nase herumführen. Niemand wollte bestreiten, dass Cora Bender vor Jahren schlechte Erfahrungen miteinem Mann gemacht hatte, eher wohl mit mehreren. Es stellte auch niemand in Frage, dass sie bei einer dieser Gelegenheiten schwer misshandelt worden war. Mit ihren selbstzerstörerischen Tendenzen musste sie

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