Die Sünderin
bricht zusammen. Sie waren allein mit ihr, als das passierte, nicht wahr? Cora Benders Hilfeschrei ging ausschließlich an Sie. Und Sie standen in diesem Augenblick stellvertretend für ihren Vater. Genauso haben Sie sich auch gefühlt. Und vor ein paar Minuten hat sich diese Szene wiederholt. Und ein Vater, Herr Grovian, will glauben. Denken Sie einmal darüber nach. Und fragen Sie sich, wie Sie Ihr Verhalten beurteilen müssten, wenn es sich bei einem Kollegen zeigte!»
Rudolf Grovian musste die Zähne zusammenbeißen, deshalb klang es gepresst: «Ich bin nicht hier, um mich analysieren zu lassen. Ich habe lediglich versucht, ein paar neue Informationen abzuklären.»
Burthe nickte bedächtig. «Und konnte Frau Bender diese neuen Informationen bestätigen?»
«In gewisser Weise, ja.»
Wieder nickte der Professor bedächtig. Nach den neuen Informationen erkundigte er sich nicht. «Sie wird Ihnen allesbestätigen, Herr Grovian. Alles, was die Verbindung zwischen ihr und Georg Frankenberg herstellt. Sie selbst ist ja um eine rationale Erklärung bemüht. Sein Tod hatte auf sie eine befreiende Wirkung, und sie sucht nach dem Grund. Sie versucht krampfhaft, ihn in ihr Leben zu installieren und nachvollziehbare Beweggründe zu liefern. Um das zu erreichen, setzt sie ihn sogar als ihren Zuhälter auf eine Couch.»
Rudolf Grovian wollte etwas sagen, wurde jedoch erneut durch eine Handbewegung zum Schweigen verurteilt. «Ich will versuchen, Ihnen etwas zu erklären. Und ich hoffe sehr, dass Sie dann endgültig begreifen, wo Ihre Arbeit und Ihr Engagement enden und meine beginnen. Jetzt vergessen wir Georg Frankenberg und den Keller einmal. Frau Benders Trauma heißt nicht Keller, es heißt Magdalena.»
Für Professor Burthe war es einfach. Für ihn war Georg Frankenberg nur ein Zufallsopfer. Es hätte jeden Mann treffen können, der sich in Begleitung einer Frau befand, an der etwas war, das Cora Bender an ihre Schwester erinnerte. Die Frau zu töten, die ihr Leben zerstört hatte, hätte Cora Bender nicht noch einmal geschafft. In ihrer Not, und es war eine sehr große Not gewesen, hatte sie sich auf den Mann gestürzt. Mit seinem Tod erreichte sie zwei Dinge gleichzeitig. Sie erfüllte Magdalena den größten Wunsch, schickte ihr einen gut aussehenden Mann. Und stellvertretend für Magdalena stieß Frankenbergs Frau ihre Hand zurück und signalisierte damit, dass keine Hilfe mehr gebraucht wurde. Cora Bender war frei. Sie war so frei in diesem Augenblick, dass sogar die Gewissheit einer lebenslangen Haftstrafe sie nicht mehr erschütterte. Strafe hatte sie ihrer Meinung nach auch verdient.
Rudolf Grovian hörte mit regloser Miene der Aufzählung zu. Ein Leben wie ein Strafregister. Lügen, betrügen, stehlen, fixen. Und als krönender Abschluss ein Mord. Nein! NichtGeorg Frankenberg. Den sollte er ja erst einmal vergessen. Das Opfer hieß Magdalena!
Ob Cora Bender ihre Schwester mit Vorsatz getötet hatte, weil sie Magdalena als Zerstörerin des eigenen Ichs empfand – nicht nur des eigenen, auch der Vater war zerstört worden. Und Cora Bender liebte ihren Vater abgöttisch –, oder ob es versehentlich im Drogenrausch geschehen war, wusste Professor Burthe nicht. Aber die brechenden Rippen waren Magdalenas Rippen gewesen.
Und Rudolf Grovian hörte sie sagen: «Ich habe immer eine Hand auf ihrer Brust …» Es reichte ihm. Weißkittel, dachte er, ihm fiel nicht auf, wie er sich ihre Denkweise zu Eigen machte. Wenn man denen eine halbe Stunde zuhört, glaubt man wieder an den Weihnachtsmann.
Er nicht! Er hatte Fakten zusammengetragen. «Ich mache Ihnen einen Vorschlag», sagte er, während er sich erhob. «Sie tun Ihre Arbeit, und ich tu die meine. Wenn Sie das in Ihrem Gutachten so anführen wollen, kann ich Sie mit drei Sätzen widerlegen.» Diese drei Sätze wollte Professor Burthe lieber sofort hören. Und Rudolf Grovian zählte seine Fakten auf. Punkt eins: Als ihre Schwester starb, war Cora seit drei Monaten nicht mehr daheim. Da lag sie nämlich mit eingeschlagenem Schädel in irgendeiner Klinik, aus der sie erst im November entlassen wurde. Punkt zwei: Prostitution nach dem Tod der Schwester als Sühne, gekoppelt mit dem unterschwelligen Wunsch nach einem inzestuösen Verhältnis zum Vater. Es war hübsch formuliert. So hätte er das nie ausdrücken können. Nur hatte dazu leider die Zeit gefehlt, mit einem zertrümmerten Schädel prostituierte sich niemand mehr. Davon abgesehen war es kein
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