Die Sünderinnen (German Edition)
einem kleinen Papierstoß den Raum. Auf dem Flur begegnete ihr Bernhard Barnowski.
»Trifft sich gut«, lachte sie. »Ich habe da so ein Gefühl.«
»Und das während der Dienstzeit«, grinste Barnowski. »Ich fühle mich geschmeichelt.«
Sooft sie sich über den Weg liefen, scherzten sie miteinander, zumindest wenn Pielkötter nicht in der Nähe weilte. Irgendwann in einer stillen Stunde nach der zweiten Flasche Wein hatte sich Ilona Schlomberger sogar einmal eingestanden, dass sie für Barnowski gerne zehn Jahre später auf die Welt gekommen wäre. Nun gewährte ihr genau dieses zusätzliche Jahrzehnt gewisse Freiheiten, die sich jüngere Kolleginnen, die sich auch in Barnowskis Lächeln verguckt hatten, niemals leisten konnten.
»Ich beziehe mich natürlich auf euren Mörder.«
»So, so!«
Barnowski grinste immer noch, wobei die Grübchen in den Wangen besonders gut zur Geltung kamen. »Jedenfalls wurde eine Frau überfallen, und mir sind da so gewisse Parallelen aufgefallen.«
»Dann sollten wir wohl oder übel direkt zu Pielkötter ins Büro schneien. Eigentlich hat der heute keinen Dienst, aber er ist trotzdem hier.«
»Vielleicht hat er Stress mit seiner Frau«, scherzte Ilona Schlomberger. »Oder er wartet hier auf eine Eingebung.«
»Wird wirklich Zeit, dass wir vorankommen. Wenn Pielkötter länger als zwei Wochen auf der Stelle tritt, wird er ziemlich ungenießbar.«
»Na dann auf in die Höhle des Monsters«, erwiderte Ilona Schlomberger und lief an Barnowskis Seite in die erste Etage hinauf.
Pielkötter saß hinter seinem Schreibtisch und kaute auf dem Bügel seiner Brille herum, als könnte er irgendwelche entscheidenden Erkenntnisse aus dem Kunststoffgestell herausbeißen. Unnütze Angewohnheit, dachte Barnowski, obendrein wahrscheinlich extrem ungesund. Schließlich las man ständig etwas über verborgene Weichmacher in Plastik. Pielkötters Blick deutete an, dass er in diesem Moment nur ungern gestört wurde.
»Vielleicht habe ich etwas für Sie«, erklärte Ilona Schlomberger unbeeindruckt von Pielkötters mürrischer Miene. »Heute Morgen ist eine Frau im Wald überfallen worden. Ein Hund hat den männlichen Täter in letzter Minute verjagt. Die Frau hat wirklich Glück gehabt.«
»Wieso glauben Sie, dass der Täter unser Mörder gewesen sein könnte?«, fragte Pielkötter nicht gerade mit besonderem Interesse. »Etwa weil er männlich war?«
Blödmann, dachte Ilona Schlomberger, zudem hat er mir nicht einmal einen Platz angeboten. Hoffentlich musste sie nicht Barnowskis Schilderungen über Pielkötters Launen als reine Untertreibung werten. Am liebsten hätte sie das Büro verlassen, aber dann setzte sie sich einfach auf einen der beiden Stühle vor den nicht gerade aufgeräumten Schreibtisch. Kollege Barnowski nahm, ebenso unaufgefordert, an ihrer linken Seite Platz.
»Um auf Ihre konkrete Frage zurückzukommen«, sagte sie in leicht ironischem Ton, »laut der Beschreibung des Opfers muss ein unglaublicher Hass auf Frauen den Täter antreiben.«
»Das werten Sie also als Parallele zu unserem Fall.« Pielkötter runzelte die Stirn und schien eine Weile zu überlegen, ob er der Polizistin Unmut oder eher Mitleid entgegenbringen sollte. »Im Grunde treibt doch jeden Vergewaltiger auch dieses Motiv an«, erwiderte er schließlich halbwegs sachlich. »Zudem wurden die umgebrachten Frauen nicht einmal vergewaltigt.«
»Ich habe auch gar nicht von einem Vergewaltiger gesprochen! Da der Täter seinen Angriff nicht zu Ende geführt hat, können wir nur vermuten, was er mit Marion Karsting, dem Opfer von heute Morgen, angestellt hätte. Mit offener Hose hat er sich ihr jedenfalls nicht präsentiert.«
»Aber wohl auch nicht mit einem Messer oder Dolch«, entgegnete Pielkötter spitz. »Genau das jedoch würde mich von Ihrer Theorie überzeugen. Und nicht diese diffuse weibliche Intuition.«
»Das geht zu weit«, stellte sich nun Barnowski gegen seinen Vorgesetzten. »Frau Schlomberger bietet uns Informationen aus erster Hand an, un d Sie schleudern ihr Unverschämtheiten entgegen. Dabei legt man uns immer eine bessere Zusammenarbeit ans Herz.«
»Wenn hier einer unverschämt wird, dann sind Sie das«, brüllte Pielkötter mit hochrotem Kopf. »Und jetzt verlassen Sie sofort mein Büro. Ich werde mit Frau Schlomberger allein weiterreden.«
Während sich Barnowski mit wütendem Blick auf seinen Chef erhob, überlegte Ilona, ob sie gleich mit dem Kollegen hinausgehen und Pielkötter
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