Die Sünderinnen (German Edition)
sich an, dass die Köhlers im Grunde nichts gesehen hatten, was zur Aufklärung beitragen konnte. Allerdings hatte sie sich die Adresse ihrer Retter gemerkt. Sobald sie wieder klar denken konnte, wollte sie sich noch einmal bei ihnen melden, um sich mit einem Geschenk für Hektor zu bedanken. Nach einer liebevollen Verabschiedungsszene blieb sie mit der Beamtin allein zurück.
»Nun schildern Sie mir bitte den Tathergang«, forderte die Polizistin sie mit einem warmherzigen Lächeln auf.
Es wirkte auf Marion Karsting beruhigend, von einer weiblichen Person vernommen zu werden, die obendrein einen freundlichen Umgangston pflegte. Nachdem sie zunächst nicht wusste, wie sie beginnen sollte, sprudelten die Worte mit einem Mal nur so aus ihr heraus. Schweigend hörte die Beamtin zu, wobei ihre Finger ununterbrochen über die Tastatur eines Laptops fuhren.
»Sie haben den Täters also nicht erkannt?«, fragte sie, nachdem Marion Karsting geendet hatte.
»Nein. Der Mann trug ja eine schwarze Strumpfmaske. Irgendetwas an ihm kam mir schon bekannt vor, aber eigentlich kann ich ihn niemals zuvor gesehen haben. Dieser Hass in seinen Augen wäre mir aufgefallen.«
»Haben Sie irgendwelche Feinde?«
»Feinde?«
»Menschen, die Ihnen etwas Schlechtes wünschen könnten. Vielleicht jemanden, der von Ihrem Ableben profitieren würde.«
Marion Karsting wurde noch eine Spur blasser. Erschrocken starrte sie die Beamtin an, die sie nun über den Bildschirm des Laptops hinweg beobachtete.
»Leider muss ich das fragen, auch wenn Sie heute wahrlich genug durchgemacht haben.«
»Schon in Ordnung«, erwiderte Marion Karsting wenig überzeugend. »Dabei fällt mir nur mein Mann ein. Wir leben getrennt, wissen Sie?«
»Möchte er keinen Unterhalt zahlen?«
»Sicher nicht gerne, aber dafür würde er mir niemanden auf den Hals hetzen. Ganz bestimmt nicht.«
»Trotzdem hatte ich gerade den Eindruck, als hätten Sie Angst vor Ihrem Mann«, entgegnete die Polizistin mit bohrendem Blick.
»Irgendwie schon«, gab Marion Karsting nun kleinlaut zu. »Früher hat er mich oft geschlagen. Deshalb habe ich mich auch von ihm getrennt. Danach hat er mir mit allem Möglichen gedroht, aber natürlich nicht mit einem solchen Überfall. Das ist wirklich nicht sein Stil.«
»So, so! Was macht Ihr Mann denn beruflich?«
Verlegen schaute die Angesprochene zu Boden. Sie hatte nicht damit gerechnet, ihren Mann in irgendeiner Form kompromittieren zu müssen. »Er ist Staatsanwalt.«
Das verschlug Ilona Schlomberger anscheinend die Sprache. Marion Karsting konnte förmlich sehen, wie die Gedanken hinter ihrer hohen Stirn rotierten. Sicherlich brachte sie den Namen Karsting erst jetzt in den richtigen Zusammenhang.
»Aber Sie glauben nicht, dass Ihr Mann hinter dem Überfall steckt«, fasste die Polizistin noch einmal ihre Aussagen zusammen. Inzwischen wirkte ihre Stimme wieder sachlich und professionell, vielleicht sogar ein wenig erleichtert.
»Ganz richtig«, bestätigte Marion Karsting. »Und ich kenne meinen Mann gut genug, um das behaupten zu können. Dieses Risiko würde er niemals eingehen. Zudem wirkte der Täter überhaupt nicht wie ein gedungener Mörder. Dieser Hass in seinen Augen. Der wollte mich nicht aus Geldgier umbringen. Niemals.«
»Okay. Ich gebe Ihre Aussage weiter. Ob Ihr Mann in diesem Fall befragt werden muss, darüber entscheiden andere.«
Marion Karsting hoffte inständig, dass es nicht zu einem Verhör kommen würde. Sofern man ihn in dieser Angelegenheit behelligte, würde sie das sicher zu spüren bekommen. Heute jedoch wollte sie nicht mehr darüber nachdenken. Es reichte ihr, sie hatte genug durchgemacht.
»Sie brauchen nur noch das Protokoll zu unterschreiben, dann dürfen Sie endlich nach Hause«, erklärte die Beamtin, als hätte sie erraten, dass sie sich nur noch nach Ruhe sehnte.
Marion Karsting fühlte sich erschöpft. Vielleicht hätte ich doch die angebotene ärztliche Hilfe annehmen sollen, dachte sie.
»Wir bringen Sie nach Hause«, schlug die Kommissarin vor.
»Mein Wagen steht vor der Tür, und ich bin durchaus in der Lage, die kurze Strecke zu fahren.« Mit einem Ruck erhob sie sich und gab der Polizistin, deren Namen sie wieder vergessen hatte, die Hand.
»Falls Ihnen noch etwas einfällt, melden Sie sich bitte«, rief diese ihr hinterher, als sie schon halb draußen war. »Egal, wie unwichtig es Ihnen auch erscheinen mag.«
Nachdem Marion Karsting gegangen war, verließ Ilona Schlomberger mit
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