Die Sünderinnen (German Edition)
reingewaschen, aber heute war nicht ein Tropfen davon geflossen.
Widerwillig schob er den Gedanken an sein unvollendetes Werk beiseite. Er musste einfach weitermachen, anders würde er keinen Frieden finden. Immerhin hatte ihn das Schicksal nicht ganz verlassen. Der Hund war bei der Frau stehen geblieben. Genauso gut hätte das Tier ihn verfolgen und aufhalten können, bis sein Besitzer ihn eingeholt hätte. Ein gutes Omen also. Noch war nichts verloren. Womöglich wurde damit die Ernsthaftigkeit seiner Absichten auf die Probe gestellt. Nun, er würde die Prüfung bestehen und nicht ruhen, bis kein sündiges Blut mehr in den Adern all dieser Frauen floss.
Seine Beine schmerzten, seine Lunge brannte, aber er rannte ohne Pause weiter, bis er das Ende des Waldes erreicht hatte. Ehe er aus dem Schutz der Bäume heraustrat, setzte er seinen Rucksack ab und kramte einen Plastikbeutel daraus hervor. Dann riss er sich den schwarzen Strumpf vom Kopf. Als er ihn in die Tüte stecken wollte, bemerkte er, dass er zerrissen war und Blut daran klebte. Während der Flucht hatten ihn mehrmals zurückschnellende Zweige im Gesicht getroffen. Eilig verstaute er die Maske und holte stattdessen eine Schirmmütze hervor. Er zog sie tief ins Gesicht, dann trat er aus dem Schatten der Bäume auf die Straße.
Nach einem kleinen Fußmarsch von wenigen Minuten, erreichte er seinen Wagen. Ein Auto mit vier Jugendlichen rauschte mit überhöhtem Tempo vorbei, ohne von ihm Notiz zu nehmen. Noch ist nicht alles verloren, dachte er erneut und startete den Wagen. Je weiter er sich vom Tatort entfernte, desto mehr besserte sich seine Laune. Inzwischen glaubte er fest daran, dass dieser Misserfolg nichts als eine Prüfung war. Und er war stolz darauf, sie bestanden zu haben. Er war nicht entdeckt worden und nun mehr denn je entschlossen, seine Aufgabe zu erfüllen, sein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Und er würde dabei auf seine altbewährte Methode zurückgreifen.
Zögernd stieg Marion Karsting aus dem Auto und warf einen dankbaren Blick zu Herrn Köhler, der gerade ihren Wagen einparkte. Nachdem er ihr die Autoschlüssel übergeben hatte, betraten sie zu dritt die Wache. Sie liefen einen weiß gestrichenen, kahlen Gang entlang und steuerten auf die erste geöffnete Tür zu.
»Wir möchten einen Überfall melden«, erklärte Herr Köhler, der als Erster eingetreten war.
Zwei Beamte von erheblichem Altersunterschied saßen beschäftigt hinter den Bildschirmen ihrer Computer und ließen ihre Finger im selben angemessenen Tempo über die Tastaturen gleiten. Der Schreibtisch des jüngeren Polizisten stand ihnen am nächsten. Der Mann schrieb noch kurz weiter, dann sah er auf.
»Sind Sie alle drei überfallen worden?«, fragte er mit einer Spur Ironie.
»Nein, nein, nur ich«, erkläre Marion Karsting. »Herr und Frau Köhler haben mich quasi gerettet.«
»Dann folgen Sie mir bitte!«
Der Beamte führte sie über den Gang in einen fast gemütlichen Raum mit einem Tisch und vier gepolsterten Stühlen in der Mitte. Zumindest standen diverse Blumentöpfe auf der Fensterbank, und an den Wänden hingen große Landschaftsbilder, wie man sie aus Kalendern kannte. Auf einem der Bilder glaubte Marion Karsting den Königssee im Berchtesgadener Land wiederzuerkennen, obwohl ihr das angesichts der Situation irgendwie lächerlich vorkam. Der Beamte ließ sie an dem Tisch Platz nehmen und bat um etwas Geduld.
»Wie fühlen Sie sich jetzt?«, fragte Daniela Köhler. »Sie sehen immer noch sehr blass aus.«
»Tut mir leid, dass ich Ihnen so viele Umstände mache. Aber ich bin doch froh, dass Sie mich begleitet haben. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.«
»Wir helfen Ihnen gerne, zumal meine Frau genau weiß, was man in einer solchen Situation durchmacht.«
Dann betrat eine Beamtin mittleren Alters den Raum. Das lange, dunkelbraune Haar hatte sie streng nach hinten gekämmt, was nicht unbedingt zu den lustigen Lachfältchen rund um ihre Augen passte.
»Guten Tag, ich bin Kriminalkommissarin Ilona Schlomberger«, begrüßte sie die Anwesenden und setzte sich auf den freien Stuhl. »Zunächst werde ich Ihre Personalien aufnehmen.« Während sie freundlich lächelte, musterte sie einen nach dem anderen. »Am besten fangen wir mit den Zeugen an«, fuhr sie fort. »Das geht in der Regel schneller. Sobald Sie das Protokoll unterschrieben haben, sind Sie entlassen.«
In sich zusammengesunken saß Marion Karsting auf ihrem Stuhl und hörte
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