Die Sünderinnen (German Edition)
einfach sitzen lassen sollte. Noch ehe Barnowski die Tür erreicht hatte, verwarf sie jedoch diesen Gedanken. Pielkötter würde das als Feigheit werten, dabei traute sie sich durchaus zu, allein mit Mister Mürrisch fertig zu werden.
»Kaffee?«, fragte er plötzlich, als hätte er sich Barnowskis Worte doch zu Herzen genommen.
»Gern.«
Schwerfällig stand Pielkötter auf und trottete zu einem Sideboard, auf dem eine Kaffeemaschine mit einer gut gefüllten Kanne stand. Hoffentlich ist der Kaffee noch heiß, überlegte Ilona Schlomberger. In letzter Zeit konnte ihr Magen lauwarmen Kaffee immer schlechter vertragen.
»Milch und Zucker?«
»Schwarz, bitte.«
Mit einem riesigen Kaffeepott und versöhnlichem Lächeln kehrte Pielkötter an den Schreibtisch zurück. Na also, dachte sie, selbst Chefs sind also nicht vollkommen erziehungsresistent. Jedenfalls hatte sie die richtige Entscheidung getroffen, indem sie nicht mit Barnowski hinausgegangen war.
»Wir waren bei den Parallelen stehen geblieben, die ich nicht ganz nachvollziehen kann«, fuhr Pielkötter mit der Unterredung fort.
»Sofern wir nur vom Täter ausgehen, verstehe ich Ihren Einwand«, erwiderte Ilona Schlomberger und nahm einen großen Schluck aus dem dampfenden Kaffeepott. »Das Opfer jedoch passt genau ins Bild.«
Das Gebräu schmeckte weitaus besser als sie erwartet hatte. Zudem spürte sie, wie die Anspannung langsam nachließ, unter der sie offensichtlich die ganze Zeit gelitten hatte. Auch wenn sie schon länger im Polizeidienst stand und ihr kaum eine Art von Verbrechen fremd war, erschütterte es sie immer wieder, wenn wehrlose Frauen die erlittenen Qualen schilderten. Zweifellos war das heutige Opfer glimpflich davongekommen, doch an den psychischen Auswirkungen würde die Frau noch lange zu leiden haben, das wusste sie nur zu gut. Hautnah hatte sie in ihrer Kindheit miterlebt, wie sich ihre Mutter nach einer Vergewaltigung verändert hatte. Vielleicht hatte die Tochter sich gerade deshalb für den Beruf der Polizistin entschieden.
»Reden wir also über das Opfer«, unterbrach Pielkötter ihre Gedanken.
»Über vierzig, attraktiv und jetzt kommt es, lebt von ihrem Ehemann getrennt.«
»Natürlich trifft das auch auf die ermordeten Frauen zu. Aber sicher kennen Sie die Scheidungsraten in Deutschland, insbesondere in den Städten. Die liegen doch bei fünfzig Prozent. Daraus kann man doch nun wirklich keine Parallele zaubern.«
»Und das Alter«, wandte Ilona Schlomberger ein.
»Das könnte Zufall sein. Ich bin sicher, unser Täter von heute Morgen hätte sich auch über eine knackige Zwanzigjährige hergemacht.«
Die Polizistin bedachte Pielkötter mit einem strafenden Blick. In diesem Moment tat Barnowski ihr leid. Fast grenzte es an ein Wunder, dass er trotz der engen Zusammenarbeit mit Pielkötter immer gute Laune ausstrahlte.
»Nun machen Sie nicht so ein Gesicht«, sagte Pielkötter in möglichst versöhnlichem Ton. »Sie haben vollkommen richtig gehandelt, indem Sie sofort zu mir gekommen sind. Ich werde alles im Hinterkopf speichern. Nur im Moment sehe ich leider weitaus mehr Unterschiede als Parallelen. Beispielsweise wurden die ersten Opfer im Haus beziehungsweise in einer Garage ermordet und nicht in einem frei zugänglichen Waldstück. Die Frau von heute Morgen wurde nicht einmal mit einem Dolch bedroht.«
»Weil der Täter nicht mehr dazu gekommen ist«, beharrte Ilona Schlomberger. »Zudem ist mit Duisburg und Umgebung der Tatort gewaltig eingekreist. Egal ob Wohnung, Garage oder Wald.«
Seufzend kritzelte Pielkötter irgendwelche Marsmännchen, vielleicht auch nur von dem Maler Wassily Kandinsky entliehene Kreise und Linien auf seinen Notizblock. Während er wieder zu ihr hochsah, rammte er die Spitze seines Füllers in den Block, als wollte er diesen aufspießen. Ilona Schlomberger registrierte das mit einem innerlichen Lächeln. Gleich würde sie Pielkötter noch weitaus mehr Grund für eine symbolische Marterung liefern.
»Bei dem Opfer von heute Morgen handelt es sich übrigens um die Frau vom Staatsanwalt Karsting«, ließ sie die Bombe platzen. »Ich denke, der wird an einer Ermittlung in allen Richtungen interessiert sein.«
Pielkötter klappte der Unterkiefer herunter. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.
Das Büro von Staatsanwalt Klaus Eberhard Karsting zählte zur oberen Mittelklasse, die Aktenschränke nebst Schreibtisch erschienen Pielkötter relativ neu. Letzterer war sogar mit einer ausziehbaren
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