Die Sünderinnen (German Edition)
Möglichkeit, sie in sein Haus zu locken, um sein Werk endlich zu vollenden. So aber war er zur Untätigkeit verdammt und das hasste er. Wie so oft in letzter Zeit würde er vor Miltons Tür herumlungern, um einen günstigen Augenblick abzupassen, an sein letztes Opfer heranzukommen.
Allmählich steigerte sich seine Nervosität. Falls er noch länger warten müsste, würde er wahnsinnig. In Gedanken versunken lenkte er den Wagen durch den dichten Verkehr. Schräg gegenüber dem Wohnhaus, in dem die Miltons lebten, fand er einen Parkplatz. Mit mürrischer Miene beobachtete er den Hauseingang. Gerade als seine Konzentration nachzulassen drohte, stürmte ein kleiner Junge heraus, dessen Haarfarbe ihn an Mark Milton erinnerte. Er hielt ein kleines Köfferchen in der Hand und stellte sich an das Auto, das der Mann nur zu gut kannte. Er zögerte nur einen kurzen Moment, dann sprang er aus dem Wagen, hastete über die Straße und hielt erst kurz vor dem Kind inne.
»Na, fährst wohl in Urlaub«, sprach er den Jungen an.
»Nö, nur zu Oma und Opa Essen«, erwiderte dieser.
»Komischer Name.«
»Die heißen doch nicht so. Die wohnen da.«
»Und wie heißen die?«
»Meine Oma Hannah Evelyn und mein Opa Hartmut«, gab der Kleine bereitwillig Auskunft. »Außerdem heißen beide Henkelmann.« Nach einer kurzen Abschiedsfloskel drehte er sich eilig um und verschwand hinter vorbeieilenden Passanten.
Mit weichen Knien nutzte er die Deckung durch zwei korpulente Damen. Das war knapp, dachte er, fast hätte sie mich entdeckt. Plötzlich war Susanne mit einem Koffer in der Hand und einem kleinen Mädchen auf dem Arm aus dem Haus getreten. Glücklicherweise hatte sie zunächst in die andere Richtung geschaut. Als er sich weit genug entfernt hatte, lächelte er zufrieden.
Ohne große Mühe würde sich die Adresse der Henkelmanns aus dem Telefonbuch heraussuchen lassen. Wie er Susanne Milton einschätzte, würde sie ihre Eltern als Kindermädchen nutzen, um sich Freiräume zu schaffen. Freiräume, genau das war doch der Hauptwunsch der Frauen von heute, nicht ihrer Familie ein Heim zu schaffen. Dafür verachtete er Susanne und all die anderen. Nun, auch der letzten Sünderin auf seiner Liste würde der Freiheitsdrang zum Verhängnis werden.
Aus dem Koffer in ihrer Hand schloss er, dass auch Susanne einige Tage bei ihren Eltern verbringen wollte. Sicherlich würde sie in dieser Zeit die elterliche Wohnung allein verlassen. Genau dann wollte er zuschlagen. Möglichst bald, ehe jemand sein Geheimnis ergründen konnte. Dabei traute er dem Psychologen noch mehr Spürsinn zu als der Polizei. Milton brauchte sich nur an Luisa zu erinnern. Er musste sie nicht zwangsläufig aus seinem Gedächtnis gestrichen haben, nur weil er ihre Akte heimlich entfernt hatte.
Seufzend füllte Mark einen Cognacschwenker und schaltete dann den Fernseher ein. Er sah selten fern, aber heute hatte er zu nichts anderem Lust, nicht einmal zum Joggen. Eigentlich war ihm ziemlich egal, welche Sendung gerade lief, Hauptsache irgendwelche Leute würden reden. Die Stille in der Wohnung empfand er als unerträglich. Kaum waren sie aus dem Maredo nach Hause gekommen, hatte Susanne die Koffer gepackt, um mit den Kindern ein paar Tage bei ihren Eltern zu verbringen.
Sie läuft vor mir davon, dachte er bitter, vor mir und unserer Beziehung. Kein Wunder bei einem Mann, der unter Mordverdacht steht. Am schlimmsten empfand er, dass sie nicht einmal darüber geredet hatten. Susanne hatte ihm keine Gelegenheit zur Verteidigung gegeben. Dabei hatte die Polizei doch sicher mit ihr Kontakt aufgenommen. Jedenfalls war das während der Vernehmung klar herausgekommen. Betroffen von dieser Erkenntnis stürzte er die Hälfte des Cognacs auf einmal hinunter. Er durfte nicht wieder grübeln, das brachte nichts, er würde mit ihr reden müssen, vor allem über seine Vergangenheit.
Regungslos saß Mark auf seiner Couch und starrte auf den Bildschirm. Dabei dachte er an die Akten, die die Polizei zunächst beschlagnahmt und ihm heute Morgen zurückgebracht hatte. Seinen Laptop hatten sie auch gleich mitgenommen. Als es an der Tür seiner Praxis geklingelt hatte, war er sicher gewesen, verhaftet zu werden. Jedenfalls stand er kurz davor, da machte er sich nichts mehr vor.
Unwillkürlich griff er zum Cognacschwenker, doch dann schob er das Glas mit einem Ruck zur Seite. In seinem Hirn reifte ein Plan, mit dem er hoffentlich seinen Kopf aus der Schlinge ziehen konnte. Er musste
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