Die Süße Des Lebens
Kommissar«, sagte er. »Ihr habt einfach weniger Nerven im Maul«, antwortete Kovacs, »viel weniger.« Lefti hielt kurz inne. »Ich habe das mit deiner Frau und deiner Tochter gemeint.« Kovacs nahm einen Schluck Bier. Inzwischen war es so kalt, dass es auf den Zähnen wehtat.
»Deswegen heule ich längst nicht mehr. Glaubst du übrigens wirklich, dass es vor allem vom Glück abhängt, ob es in einer Beziehung klappt oder nicht?«
»Allah schenkt dir Augen und Ohren und die Demut zu warten.«
»Und maghrebinische Gastwirte, die in rätselhaften Gleichnissen sprechen, wenn du ihnen eine konkrete Frage stellst.«
Lefti verneigte sich. »Ganz wie du meinst, Kommissar.«
Wahrscheinlich hat er sogar recht mit den Augen und Ohren und es war von Anfang an ein Problem meiner fehlenden Aufmerksamkeit, dachte Kovacs. Einer, dessen Beruf es ist, möglichst mehr wahrzunehmen als die anderen, trifft eine Frau und verlässt sich auf das diffuse Gefühl, dass da so allerhand stimmt.
Yvonne hatte damals vor zwanzig Jahren im Rahmen ihrer Hotelmanagementausbildung eine Hospitanz im Fernkorn absolviert und war an den Sommerabenden regelmäßig in Manolos Strandcafé aufgetaucht. Er, Kovacs, war bei Manolo Stammgast gewesen, wegen des italienischen Kaffees, wegen der Grappa-Auswahl und wegen der Rattanstühle, auf denen man ausgesprochen gut saß. Vor allem jedoch gingen dort weder die jungen Möchtegerne noch die kryptokriminellen Wirtschaftstreibenden aus und ein, die man auf den Terrassen des Wertzer und des Fernkorn fand, sondern das Publikum des städtischen Strandbades und ein paar Leute, die im Jachthafen ihre unauffälligen Boote liegen hatten. Yvonne hatte ein eng anliegendes dottergelbes Top getragen, daran konnte er sich erinnern, und unter den Sandalenriemchen Pflaster auf den Fersen kleben gehabt. Ich habe auf ihre Titten gestarrt, dachte Kovacs, und die Titten haben zurückgestarrt, dann sind mir die Pflaster aufgefallen und erst danach habe ich ihr Gesicht betrachtet. Man zählt eins und eins zusammen und weiß, dass das bestenfalls brauchbaren Sex ergibt, aber sonst schon gar nichts. Möglicherweise hatte sie damals bereits in einer ähnlich verächtlichen Weise den See und die Menschen, die ringsherum an den Tischen saßen, betrachtet wie fünfzehn Jahre später und er hatte nichts bemerkt. Im Nachhinein waren sowieso alle viel klüger gewesen als er und hatten behauptet, von Anfang an sei es so klar gewesen wie nur was, dass daraus nichts werden könne, und er war dagehockt und hatte erst Bier und Schnaps getrunken und am Ende sein Fernrohr aus der Kiste geholt. Vollkommen infantil, hatte er gedacht, doch in irgendeiner Form hatte es ihn stabilisiert.
Die Bierschaumreste am Rand des Glases waren inzwischen gefroren. Kovacs kratzte erst ein wenig daran herum, dann brach er ein Stück von der Flade und schmierte die Suppenreste aus seiner Schale. »Früher hätte ich gesagt, ich bin erstens Kriminalkommissar, zweitens Ehemann und Vater und drittens Gastgartensitzer«, sagte er, »jetzt sage ich, ich bin meistens Gastgartensitzer und ab und zu noch Kriminalkommissar. Ganz wurscht, ob du dich mit deiner Frau verträgst oder nicht, es geht ein Stück deiner Identität verloren, wenn sie dich verlässt.«
Lefti drehte sich zur Seite und schaute in Richtung des Restaurants. »Ich lebe jetzt seit zwölf Jahren in diesem Land, ich trage Wollpullover und Handschuhe, ich trinke euren Wein, ich denke in euren Begriffen, ich sage Scheiße und Hurensohn, aber was ihr mit dieser Identitäts-Sache habt, werde ich nie verstehen.«
»Du brauchst so was nicht. Dich wird nämlich deine Frau nie verlassen«, sagte Kovacs.
»Stimmt. Wird sie nie.«
Ich bin ein Gastgartensitzer, ab und zu ein Kriminalkommissar und drittens einer, der einmal pro Woche mit der Betreiberin eines Secondhandladens vögelt, dachte Kovacs. Letzteres geschieht auf Basis eines Bedürfnisbefriedigungsabkommens, dachte er, mehr nicht, von so was wie Liebe weit und breit nichts zu spüren. Kovacs wusste, dass Lefti wusste, und das war Grund genug, über die Sache kein Wort zu verlieren.
Er schlüpfte aus dem Handschuh, um sich zu verabschieden. »Was macht ihr zu Silvester?«, fragte er.
»Gar nichts«, sagte Lefti, »bei uns ist noch das Jahr 1426 und der Jahreswechsel findet in einem Monat statt. Das Lokal sperren wir zu. Das hat sich bewährt.«
Kovacs nickte. Er erinnerte sich genau daran, wie er an jenem 1. Jänner vor sieben Jahren morgens ins
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