Die Süße Des Lebens
›Tin‹ gekommen war. Lefti war mitten im Gastzimmer gestanden, leichenblass, mit einem provisorischen Verband um den Kopf, und ringsherum war nichts mehr heil gewesen. Die Schar, die um zwei Uhr früh alles kurz und klein geschlagen hatte, war vom Sohn eines freiheitlichen Landtagsabgeordneten angeführt worden, dafür gab es ausreichend Zeugen. Zuerst hatten die Glatzköpfe Sekt aus Flaschen getrunken, dann die Stühle hochgenommen und einfach niedersausen lassen. Am Ende hatten sie mit roten Kerzenstummeln ›Ausländer raus‹ an die Wand geschmiert und dazu im Chor ›Es zittern die morschen Knochen‹ gesungen. Einem älteren Mann, der gemeint hatte, er habe dieses Lied in seinem Leben ausreichend oft gehört, hatten sie mit einer Pfeffermühle das Nasenbein gebrochen.
Den Richter hatte sich der Vater des Hauptbeschuldigten dann ausgesucht; dementsprechend lächerlich war das Urteil auch ausgefallen: sechs Monate bedingt. Der Sohn des Herrn Abgeordneten hatte bei der Hauptverhandlung ständig gegrinst und nach der Urteilsverkündung gemeint, Lefti solle froh sein, dass sie seine Frau nicht gefickt hätten. An manchen Tagen war es gut, keine Waffe zu tragen, hatte Kovacs damals gedacht, daran konnte er sich noch erinnern.
»Ich lasse mich noch einmal herzlich bei Szarah bedanken«, sagte er und zog den Zipp seiner Jacke hoch.
»Ich bin sicher, es war ihr ein großes Vergnügen.«
»Und wenn du einmal eine Spur weniger höflich wärst …«
»Dann wüsstest du, dass du dich in Acht nehmen musst«, sagte Lefti, hob die Hand und bückte sich, um die Suppenschalen wegzuräumen.
Kovacs ging abwärts in Richtung Promenade. Er bewegte sich rasch, wie immer, nicht, weil ihm kalt war. Ich bin ein Schnellgeher, dachte er, das gehört auch zu meiner Identität. Charlotte hatte deshalb ständig gejammert und Yvonne hatte vermutlich den Mund nur gehalten, weil ihr viel daran lag, Sportlichkeit zu demonstrieren.
Er erreichte den See knapp vor dem Bootsverleih. Wo früher Manolos Strandcafé gewesen war, befand sich jetzt Frank Holdereggers Wassersportgeschäft. Der Mann hatte erst eine Surfbasis auf Zypern, dann viele Jahre lang eine Tauchschule auf den Malediven betrieben. Schließlich hatte er genug Geld beisammen gehabt und war bei der ersten Gelegenheit in die Stadt seiner Geburt zurückgekehrt. Dass es sich dabei um Manolos Unfall gehandelt hatte, hatte die Optik ein wenig getrübt, doch hätte Holderegger es nicht getan, hätte sich jemand anderer in das Geschäftslokal gesetzt. Manolo wäre so oder so nicht wieder lebendig geworden, das stand fest. Er war an einem sonnigen Oktobermorgen mit seiner Corvette zu forsch in eine der Kurven der Kanaltalautobahn gefahren, hatte im Überschlag mit Leichtigkeit das Hindernis der Leitplanken genommen und war hundertfünfzig Meter tiefer im Bett eines Tagliamento-Nebenflüsschens gelandet. Manche Leute hatten diesen Tod in Italien geradezu romantisch gefunden. Vermutlich waren es genau jene gewesen, die sich davor regelmäßig das Maul über Manolos Homosexualität zerrissen hatten: gut, dass die Schwuchtel zum Sterben nach Hause fährt. Dass Manolo eigentlich aus Neapel stammte, das vom Kanaltal zirka tausend Kilometer entfernt ist, hatte keinen von ihnen gekümmert. Holderegger schien jedenfalls nicht schwul zu sein, das beruhigte die Stadt. Außerdem war er in den wenigen Jahren, die er wieder im Lande war, zu einem der besten Kenner des Sees geworden, sowohl was seinen Fisch- und Vogelbestand als auch was seine meteorologischen Eigenheiten betraf. Angler und Surfer holten Rat bei ihm ein und zur biologischen Beobachtungsstation hatte er absolut ernsthafte Kontakte. Lediglich Touristen, die mit einem Tauchgang liebäugelten, bekamen immer wieder wilde Geschichten zu hören, vor allem, dass die Sache mit dem Nazi-Gold im Toplitzsee eine reine Erfindung sei und die Schätze des Dritten Reiches in Wahrheit hier, praktisch in Sichtweite, unter einem durch Sprengung herbeigeführten Bergsturz verschwunden seien, nachdem man zuvor das Transportschiff am Fuß der Kammwand versenkt habe. Er führte die Leute, die auf seine Erzählung hin zuhauf buchten, zu einem vor gut dreißig Jahren gesunkenen Fischkutter, behauptete, das sei das Lotsenboot gewesen, dem der Schatztransporter dereinst gefolgt sei, und bei den Felsblöcken daneben handle es sich um jenen Bergsturz. Es gab nach diesen Tauchgängen nie Beschwerden, im Gegenteil, auf Holdereggers Website waren dermaßen
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