Die Süße Des Lebens
seinem Mund zu einer kleinen Dampfwolke werden ließ, dachte er, dass er unter keinen Umständen noch einmal Konrad Seihs und seinem Pitbull begegnen wollte. Ich hau ihm die Tasche mit den Honiggläsern in die Fresse, dachte er, und er stellte sich vor, wie weder Seihs noch der Hund damit gerechnet hatten und beide extrem blöd schauten.
Etwas später, während er auf der Severinbrücke die Ache überquerte und einen Blick nach Westen zum Krankenhaus warf, fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, Joachim zu fragen, wie Bienen eigentlich überwintern.
Sieben
»Lefti, sehe ich komisch aus?«, fragte Ludwig Kovacs. Lefti, der Besitzer des Lokals, stellte ein Glas naturtrübes Pils vor Kovacs ab und musterte ihn. »Natürlich siehst du komisch aus, Kommissar«, sagte er, »das heißt, nicht du als Person, sondern du hier auf meiner Terrasse mit dem Bier mitten im Winter, mit der schwarzen Wollmütze an diesem einzigen, extra für dich aufgestellten Tisch, mit all dem Schnee rundherum, und da unten der See, der schon halb zugefroren ist, und wenn man jetzt noch mitüberlegt, dass das ein marokkanisches Restaurant ist, vor dem du da sitzt in deiner blauen Wattejacke, und dass in Marokko Menschen in dicken blauen Wattejacken, die nicht wissen, ob sie zum Trinken die Handschuhe ausziehen sollen oder nicht, nicht so häufig vorkommen, wenn man das alles mitüberlegt, siehst du komisch aus.« »Da bin ich aber beruhigt«, sagte Kovacs. Er schlüpfte aus dem rechten Handschuh.
»Prost.«
»Wobei ich sagen muss, dass in manchen Gegenden Marokkos schwarze Wollmützen getragen werden, oben im Atlas, in Ifrane zum Beispiel oder rund um den Djebel Tubkal.«
»Da bin ich auch beruhigt, wenn ich mich nicht in allem so stark abhebe.«
»Kommissar, du verstehst mich nicht.«
»Wie immer.«
»Ja, wie immer.«
Kovacs und Lefti mochten einander. Das hatte nur zum Teil damit zu tun, dass die Überfälle von Skinhead-Banden auf das ›Tin‹ völlig aufgehört hatten, seit Kovacs mit seiner Truppe regelmäßig in dem Lokal auftauchte. Es war etwas Persönlicheres. Lefti hatte ein natürliches Gefühl dafür, ob man ein komplettes Essen mit einer langen Geschichte brauchte oder einfach nur ein Glas Bier. Kovacs schätzte das sehr. Außerdem war Lefti neugierig, aber nie aufdringlich, liebte Fußball und stand mit jeder Form von Bürokratie auf Kriegsfuß, was am Ende dazu führte, dass ihm die Leute vertrauten und er immer gut informiert war. Das schätzte Kovacs auch, zumindest manchmal. Schließlich gab es da noch Szarah, Leftis Frau. Sie stand tagein, tagaus in der Küche und war dort eindeutig ein Glücksfall. Namentlich für Ludwig Kovacs war sie es gewesen, nachdem sich vor vier Jahren seine Frau von ihm hatte scheiden lassen. »Ohne Szarah wäre ich verhungert«, sagte er manchmal und Lefti sagte drauf: »Keine Spur wärst du verhungert, schau dich an, vielleicht hättest du ein Magengeschwür bekommen, aber verhungert wärst du nie«, und er sagte dann: »Aber Szarahs Möhrenpüree mit Minze hat mir das Leben gerettet.« Lefti spielte am Ende immer noch den Widerstrebenden, aber im Grunde ließ er es gelten. Er wachte über seine Frau, obwohl jeder sah, dass das völlig überflüssig war, hatte doch Szarah allein mit ihrer zypressenhaften Figur und ihrem endlos geschwungenen Nasenrücken etwas so Distanzgebietendes, dass ihr niemals jemand ungebührlich nahegekommen wäre.
Der See wird tatsächlich zufrieren, dachte Kovacs, vor kurzem hat es noch keiner für möglich gehalten, doch jetzt hat es aufgeklart und die Temperaturen bleiben unter null. Sein Blick strich über das verschneite Areal der städtischen Freibadanlage, über das Gebäude des Hallenbades mit seinem tief herabgezogenen Dach, über die schmalen Stege des Bootsverleihs, über die Blöcke der beiden alten Seehotels und über den Jachthafen, aus dem sich momentan kein einziger Mast erhob. Kovacs dachte an seine eigene Jolle, die er in Waiern, am Nordufer, bei Fred Ley auf dem Trockenen liegen hatte. Sie war ein altes, nettes Boot aus klar lackiertem Robinienholz, die Bugabdeckung und die Sitzbretter aus Teak. In den letzten Jahren hatte er sie öfter verliehen als selbst benützt, und das, obwohl er nach der Scheidung gedacht hatte, er werde jetzt ständig hinausfahren, zum Angeln oder einfach so. Yvonne, seine Frau, hatte den See gehasst, die Touristen, die alljährlich herkamen, die Fische und den kühlen Westwind, dem sie ihre Gelenkbeschwerden anlastete. Bei
Weitere Kostenlose Bücher