Die Süße Des Lebens
ausstrahlte, man könne sie hinter ein Elektronenmikroskop setzen oder hinter das Lenkrad eines Schaufelbaggers oder ihr einen Gartenrechen in die Hand drücken oder eine Glock 17, und sie würde immer etwas Sinnvolles daraus machen. »Ich weiß, in Wahrheit bin ich selbst für die Antwort zuständig«, sagte er, »aber manchmal gibt es einfach Situationen …« Patrizia Fleurin machte eine beschwichtigende Handbewegung und zog dann mit Schwung das Tuch weg, das die Reste von Sebastian Wilferts Kopf bedeckte. »Ist schon in Ordnung«, sagte sie, »ich denke, wer so etwas macht, muss entweder einen enormen Hass in sich tragen …«
»Oder?«
Sie zögerte. »Oder gar nichts. In Wahrheit gibt es kein ›Oder‹. Ich weiß, das bedeutet jetzt keinen besonderen Gewinn, aber etwas anderes fällt mir nicht ein.«
Der Schädel des alten Mannes hatte sich ziemlich verändert, so, als sei er insgesamt kleiner geworden, nicht nur der frei daliegende Augapfel, der jeden Schimmer verloren hatte und aussah wie eine hellgraue Schrumpelfrucht. Die Haare hoben sich kaum mehr von der Umgebung ab und das getrocknete Blut hatte sich schwarzbraun verfärbt. Das Stück Zahnprothese, den einzig kompakten Zacken in dem Gewebebrei, hatte man offenbar entfernt. »Wie viel Kraft benötigt man, um so etwas anzurichten?«, fragte Kovacs. Patrizia Fleurin musterte ihn. »Sie haben doch sicher schon einmal einen Vorschlaghammer in der Hand gehabt!?« Kovacs nickte. »Die Frage war eher rhetorisch gemeint,« sagte er. Sie deckte Kopf und Hals wieder zu. »Wenn man ihm die Kehle durchschneidet, braucht man danach weniger Kraft.«
Was bringt eine attraktive Frau dazu, Gerichtsmedizinerin zu werden?, fragte er sich, und dann erinnerte er sich daran, wie er dort an der Scheunenrampe die Holzpflöcke in die gefrorene Erde gejagt hatte, einen nach dem anderen, mit der Stirnseite einer Axt allerdings, nicht mit einem Vorschlaghammer. Sein Blick fiel auf Viktor Groh, der an der Wand des Saales auf einem gelben Plastikstuhl saß und in einer Motorradzeitschrift blätterte. Groh merkte, dass Kovacs ihn ansah. Er grinste breit. »Einsachtundneunzig und einhundertneunzehn Kilogramm«, sagte er, »ich wäre ein hervorragender Mörder.«
Er hatte noch auf der Rückfahrt zu telefonieren begonnen. Mauritz hatte sofort abgehoben, so, als habe er den Anruf erwartet. »Da staunst du, oder?«, hatte er gefragt und Kovacs hatte geantwortet, das sei die blödeste Bemerkung, die er in letzter Zeit gehört habe. Mauritz hatte sich entschuldigt und ihm danach seinen vorläufigen Erkenntnisstand mitgeteilt: jede Menge blutgetränkter Schneematsch, auf Grund der durchtrennten Halsgefäße links von Schädel und Schulter ausgeprägter als rechts, keinerlei Hinweise auf einen Kampf, außerdem ein Gewebeverspritzungsmuster, das tatsächlich aussehe, als habe Wilfert einen einzigen mächtigen Hieb erhalten. So viel zum Thema Meteorit, hatte Kovacs gesagt und Mauritz war über die Bemerkung hinweggegangen, als sei sie nicht gefallen. Insgesamt stelle sich die Sache alles andere als eindeutig dar und sogar die Reifenspuren, die üppig vorhanden seien, hätten etwas Komisches an sich. Das grobe Profil, von dem er nach dem ersten Hinschauen geschworen hätte, es stamme vom Hinterrad eines Traktors, sei nämlich das Einzige, das am Tatort gefunden worden sei, was zwangsläufig zum Schluss führe, dass es sich um ein Fahrzeug mit vier gleich großen Rädern gehandelt haben müsse und nicht um einen Traktor vom hierzulande üblichen Typ. Was sonst?, hatte Kovacs gefragt und Mauritz hatte geantwortet, am ehesten wohl eine Art LKW. Der Auffindungsort der Leiche sei übrigens mit ziemlicher Sicherheit der Tatort und der gefrorene Boden habe einen geradezu ideal harten Widerpart abgegeben für die Last, die da auf Sebastian Wilferts Schädel niedergesaust sei, Vorschlaghammer oder was auch immer. »Du weißt, was dir bevorsteht?«, hatte Kovacs gefragt und Mauritz hatte tief aufgeseufzt. »Sonntagsdienst, die kleine Schaufel plus Sieb, das ganze auf den Knien, Archäologenmethode halt.« Kovacs hatte ihm versprochen, er werde dafür sorgen, dass niemand ihn störe, und Mauritz hatte geantwortet: »Echt super!«
Philipp Eyltz, der Polizeichef der Stadt, war im Teesalon des Hotels Bauriedl gesessen, um mit einem ehemaligen Schulkollegen auf dessen neugeborene Enkelin anzustoßen. Kovacs hatte ihm ›Code Red‹ auf die Mailbox gesprochen und dementsprechend rasch war der Rückruf
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