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Die Süße Des Lebens

Die Süße Des Lebens

Titel: Die Süße Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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gelben Notizzettel und griff zum Telefon. ›Unfall‹. Auf U 14 hob Mike, der Stationspfleger, ab. »Leuweritz hat erzählt, er hat heute Nacht ein fünfjähriges Mädchen operiert, Trümmerbrüche beider Unterschenkel, ein Autounfall, glaube ich«, sagte Horn, »kannst du mir den Namen raussuchen?«
    »Den brauche ich nicht rauszusuchen.«
    »Und?«
    »Birgit Schmidinger.«
    Horn spürte, wie ihm die Luft wegblieb. Dann schoss ihm ein Schwall Zorn in die Brust. »Bist du noch dran?«, fragte Mike. »Ja, ich bin noch dran. Ich glaube, ich komme rüber zu dir.« »Es gibt jede Menge Heringssalat«, sagte Mike, »gewissermaßen vorgezogenes Silvester.«
    Ich möchte hier am Fenster stehen bleiben und dem See beim Zufrieren zuschauen, dachte Horn. Ich möchte mich nicht fragen müssen, wem ich es zutraue, dass er einen alten Mann umbringt. Und ich möchte die Schmidinger-Geschichte endlich vom Tisch haben, egal wie. Er würde Kovacs doch anrufen, das war das Erste, das er beschloss. Und er würde es gleich tun.

Elf
    Aldebaran, der rötliche Stern im Auge des Stieres, stand tief in jenem V-förmigen Einschnitt, den die Kontur der Berge über dem Westende des Sees beschrieb. Etwas weiter südlich berührte Sirius die Horizontlinie und auch Beteigeuze, der Schulterstern des Orion, war dabei, sich ihr anzunähern.
    Ludwig Kovacs ging auf dem Flachdach seiner Wohnung auf und ab und fror. Sein Fernrohr war auf Gamma Leonis eingestellt, den Doppelstern, der den Nacken des Löwen bildete. Er hatte nur ein einziges Mal durchgeschaut und danach gedankenverloren einem feinen Nebelfetzen zugesehen, der langsam über den See auf das Further Ufer zukroch. Es war knapp vor halb sechs und in der Kälte des frühen Morgens verging die Zeit noch langsamer als davor. Kovacs hatte im Verlauf der gesamten Nacht vielleicht zwei Stunden in seinem Bett verbracht. Er hatte das Gefühl, nicht eine Minute geschlafen zu haben. Ich erkenne nichts, dachte er, kein Muster, kein Motiv, keinen Faden. Ich kann der Sache keine Bedeutung geben.
    Nach dem Anruf von Patrizia Fleurin am Samstagabend war er ins Auto gestiegen und zum Krankenhaus gefahren. Als ihn beim Einbiegen auf den Parkplatz ein Rettungswagen mehrmals angeblinkt hatte, war ihm klar geworden, dass er selbst nur mit Standlicht fuhr. Der Herr Kommissar fährt unterbeleuchtet durch die Stadt – es war zwar keiner der Kollegen in der Nähe, doch er fühlte sich trotzdem schlecht.
    Viktor Groh, der riesenhafte Pathologiegehilfe, hatte ihm geöffnet. Er hatte ihn aus seinen Schweinsaugen von oben herab angeschaut, ein wenig geringschätzig, und »Heute gut Freund, Commissario« gesagt. Kovacs hatte Groh vor mehreren Jahren einmal verhaftet, nachdem er bei einer Wirtshausrauferei einem holländischen Touristen den abgebrochenen Hals einer Tequila-Flasche in die Schulter gerammt hatte. Groh war letztlich mit einer bedingten Freiheitsstrafe davongekommen, da es für die Provokationen des Opfers jede Menge Zeugen gegeben hatte. »Ja, heute gut Freund«, hatte Kovacs geantwortet und war Groh, der in seinem fleckigen sandfarbenen Arbeitsanzug aussah wie ein abgetakelter Sumo-Ringer, durch die Gänge gefolgt.
    Patrizia Fleurin trug einen weißen Doktormantel, darüber eine wadenlange transparente Plastikschürze und Einmalhandschuhe. Sie war dabei, Probengefäße verschiedenen Formates zu beschriften. Die gröbere Arbeit hatte sie offenbar bereits erledigt. Sie hatte ihr rötliches Haar zu einem Knoten hochgebunden und sah mit ihren Sommersprossen und den Lachfaltensträußchen an den Augenwinkeln umwerfend aus. Ich habe eine befriedigende sexuelle Beziehung auf vertraglicher Basis, dachte Kovacs, und trotzdem muss ich mir vorstellen, wie es wäre, dieser Frau an die Hüften zu greifen. »Strahlen Sie mich nicht so an, Kommissar«, sagte sie, »erstens werde ich Silvester garantiert nicht mit Ihnen verbringen und zweitens kommt Arbeit auf Sie zu, denke ich.« Sie wies in Richtung Seziertisch. Dort lag unter verwaschenen grünen Tüchern die Leiche Sebastian Wilferts.
    Kovacs beugte den Kopf, schlüpfte in die Schürze, die Fleurin ihm hinhielt, und zog sich blaue Kunststofffüßlinge über die Stiefel. Die Handschuhe lehnte er ab. »Greif nichts an, wenn du irgendwo fremd bist! – Das hat meine Mutter schon gesagt.«
    »Das sagen Sie jedes Mal, wenn Sie hier sind.«
    Er schwieg. Sie ist unerbittlich präzise in ihren Beobachtungen und hat ein Gedächtnis wie ein Elefant, dachte er.
    »Kommen wir

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