Die Süße Des Lebens
nahm er sie meistens mit nach Hause und Kovacs stellte sich dann vor, wie sie neben seinem Bett auf dem Nachtkästchen stand und Wache hielt, während er schlief.
»Was schlägst du vor?«, fragte Kovacs.
Demski überlegte, dann schüttelte er den Kopf. »Er war es nicht.«
»Aber Auto fahren kann er als Sohn eines Autohändlers unter Garantie.«
»Für die Sache mit Wilfert hat er noch nicht das Format.«
Fußballspieler haben manchmal noch nicht das ausreichende Format, dachte Kovacs – fürs Nationalteam zum Beispiel oder für die Champions League. »Was schlägst du vor?«, fragte er noch einmal.
»Ich rufe die Bewährungshilfe an«, sagte Demski.
»Wozu?«
»Er hat mit Sicherheit einen Bewährungshelfer zugeteilt bekommen. Womöglich ist dem etwas aufgefallen.«
»Walter Grimm«, sagte Bitterle.
»Wieso Walter Grimm?«, fragt Kovacs.
»Weil es in unserer Region genau drei Bewährungshelfer für jugendliche Straftäter gibt: Jolanthe Beyer, Irmgard Schneeweiß und Walter Grimm, und weil für einen psychopathischen Knochenbrecher garantiert nicht die Frauen genommen werden.«
Ludwig Kovacs spürte ein leises Unbehagen. Grimm war ein kleiner untersetzter Mann, der bekanntermaßen nie ohne Elektroschockgerät aus dem Haus ging. Einer, der in seiner Schulzeit ständig Prügel bezogen und später dreihundert Stunden Psychotherapie gebraucht hatte, schätzte er. Kovacs hatte zuletzt mit Grimm zu tun gehabt, als einer seiner Klienten eine Tankstelle überfallen und die Kassierin in den Oberarm geschossen hatte. Grimm hatte nach der Verhaftung des Mannes einen einzigen Satz gesagt: »Lasst ihn nie wieder raus«, und Kovacs wusste noch genau, dass er das Gefühl gehabt hatte, dieser Mann sei im selben Moment in Wahrheit gestorben, aus, mausetot.
»In Ordnung. Du rufst Grimm an und schaust, ob er was weiß«, sagte er. Demski nickte zufrieden und schrieb ›Kontakt mit Bewährungshilfe‹ auf die Tafel. »Und Gasselik selbst?«, fragte Lipp. »Den lassen wir vorläufig in Ruhe«, sagte Kovacs, »er soll nicht nervös werden.«
»Er war’s nicht«, sagte Bitterle. »Warum nicht?«, fragte Kovacs. »Er ist erst sechzehn.« Demski lachte laut auf. »Da waren wir schon einmal«, sagte er. In Wahrheit erträgt keiner die Vorstellung, dass ein Sechzehnjähriger einem alten Mann die Kehle durchschneidet und dann das Gesicht zerdeppert, dachte Kovacs. Er ertrug sie auch nicht.
Bis zum Beginn der Beerdigung waren es noch gut eineinhalb Stunden. Kovacs hatte neben Sabine Wieck auch Lipp mitgenommen und Demski hatte lediglich etwas von ›immer alles alleine tun‹ gemurmelt, sich aber weiter nicht dagegen gewehrt. Die beiden schauten überrascht, als Kovacs am Haustor die Richtung zum See einschlug, sagten aber nichts. Sie gingen an der Bezirkshauptmannschaft und am Finanzamt vorüber und bogen, kurz bevor sich die Straße zum Freizeitzentrum hin senkte, in den Eschenbachring ein. Kovacs nahm an seiner Seite Sabine Wiecks geschmeidigen Gang wahr und dachte, dass er sich in ihrer Gegenwart von Anfang an wohl gefühlt hatte. Es ist anders als bei Patrizia Fleurin, dachte er, und völlig anders als bei Marlene, aber es ist gut. Altersmäßig hätte sie seine Tochter sein können, vielleicht lag es daran, vielleicht auch daran, dass seine echte Tochter so komplett anders war. Sie würde sich niemals so geschmeidig fortbewegen und niemals auch nur annähernd so achtsam gegenüber ihrer Umgebung sein wie Sabine Wieck.
»Das ist aber nicht Ihr Ernst«, sagte Lipp, als Kovacs im ›Tin‹ den Weg zur Terrasse einschlug. »Gastgartensitzen ist immer mein Ernst«, antwortete Kovacs. Er bat Lipp, einen der Tische vom Schnee zu befreien. Er selbst ging hinein und begrüßte Lefti, der im Gastzimmer saß und Sudokus löste. »Bleib sitzen«, sagte er, »ich kenn mich hier aus.« Er holte drei Stapelstühle mit Sitzpolstern aus dem Abstellraum, trug sie hinaus und stellte sie um den Tisch. Er setzte sich und machte eine einladende Handbewegung: »Ideale Bedingungen, macht es euch bequem.« »Minus vier Grad«, erwiderte Lipp und zog ein säuerliches Gesicht. Sabine Wieck rückte ihre Jacke zurecht, schob den Schal zum Kinn hoch und setzte sich auch. Lipp knurrte.
»Die Sonne scheint«, sagte Kovacs.
Sie begannen ihren Planungsdurchgang bei den Personen, die zu erwarten waren: die fünf Maywalds; Wilferts Sohn, der in München eine Getränkeimportfirma führte; seine geschiedene Frau; die gemeinsame siebzehnjährige Tochter;
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