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Die Süße Des Lebens

Die Süße Des Lebens

Titel: Die Süße Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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Unterton des Bedauerns sagen: »Auf Grund der außerordentlichen Brutalität der Tat und der fehlenden Reue des Angeklagten verhängt das Gericht eine unbedingte Freiheitsstrafe in der Höhe von neun Monaten. Die verbüßte Untersuchungshaft wird auf die Gesamthaftzeit angerechnet.« Er konnte seine Erleichterung von damals noch spüren und er spürte zugleich, wie ihm diese Erleichterung dazu verholfen hatte, die Existenz der alljährlichen Weihnachtsamnestie komplett zu vergessen. Was bin ich doch für ein Trottel!, dachte er.
    »Warum sagt mir das keiner?!«, brüllte er und knallte die Faust auf den Tisch. Die Tassen hüpften und standen von einer Sekunde auf die andere in einem Fußbad. Keiner rührte sich. Kovacs stand schweigend auf, holte einen Lappen aus der Küche und beseitigte die Bescherung. Derartiges passierte ihm alle paar Jahre.
    »Ich habe es Ihnen gesagt.« Es war Lipp. Kovacs legte zweifelnd die Stirn in Falten. »Wann?«
    »Damals auf der Scheunenrampe. Ich hatte alles fotografiert und Sie kamen mit den Maywald-Kindern und ihrem Vater aus dem Haus. Mauritz war auch dabei.«
    Nichts, dachte Kovacs, alles weg, wie ausgelöscht. Und Lipp ist noch so nett und sagt nichts davon, dass ich damals die Kamera vergessen hatte. »In dem Wirbel habe ich das offenbar überhört«, sagte er. Eine ganze Woche, dachte er, wir haben es eine ganze Woche lang verabsäumt, uns um Daniel Gasselik zu kümmern, nur weil ich geglaubt habe, er sitzt im Gefängnis. Er starrte die Tafel an. »Traust du ihm das zu?«, fragte er schließlich. Demski hob langsam die Schultern. »Natürlich traue ich es ihm zu«, sagte er, »im Grunde traue ich ihm alles zu, das weißt du.«
    »Was heißt: im Grunde?«
    »Ich glaube, für die Sache mit Wilfert fehlen ihm noch die Mittel.«
    »Die Mittel?«
    »Muskelkraft und Führerschein zum Beispiel.«
    Kovacs sah Demski vor sich, wie er hinter dem schmächtigen Burschen aus dem Vernehmungsraum kam, bleich im Gesicht und in jeder seiner Bewegungen eine kaum kontrollierbare Wut. »Wenn es noch länger gedauert hätte, hätte ich ihm eine geknallt«, hatte Demski gesagt und alle hatten sie es ihm geglaubt. Gasselik hatte erst eineinhalb Stunden lang geleugnet, obwohl jede Menge Tatzeugen vorhanden gewesen waren, dann war er von einer Sekunde auf die andere um hundertachtzig Grad geschwenkt und hatte völlig ungerührt erzählt, wie er auf den Arm dieses Buben gesprungen war, erstens, weil er es auf Grund seines Verhaltens verdient habe, und zweitens und hauptsächlich, weil das die einzig adäquate Art sei, mit so einer Kanakensau umzugehen. Am schlechtesten habe er dieses Grinsen ausgehalten, hatte Demski erzählt, Gasselik habe ständig gegrinst und zwischendurch habe er traumverloren die Augen geschlossen, exakt in der Art, wie es manche Vögel mit ihrer Nickhaut taten. ›Traumverloren‹ hatte Demski gesagt, daran konnte sich Kovacs erinnern, und auch sonst war die Atmosphäre rings um diese Geschichte höchst sonderbar gewesen. Eleonore Bitterle hatte ihr Gespräch mit der Mutter nach zwanzig Minuten abgebrochen und gesagt, so eine Form von Seelenlosigkeit halte sie nicht aus. Unter anderem habe die Frau nicht einmal gewusst, ob ihr Sohn einen positiven Pflichtschulabschluss besitze oder nicht, und natürlich sei er gelegentlich körperlich bestraft worden, aber seit einiger Zeit übernehme das ausschließlich ihr Mann, denn der sei doch ein Stück stärker als sie. Konrad Gasselik selbst, Daniels Vater, hatte in der Einvernahme durch Strack gesagt, er gehe hundertprozentig davon aus, dass sein Sohn im Recht sei und der kleine Türke ihn nicht nur behindert, sondern auch provoziert habe, wie es halt so Türkenart sei. Dann habe er ihn gefragt, welches Auto er fahre, hatte Strack erzählt, und ihn eingeladen, sich einmal einen Nachmittag Zeit zu nehmen für eine ausgedehntere Probetour, er habe da zum Beispiel einen erstklassig restaurierten Jaguar E in der Halle stehen, der hervorragend zu einem Herrn mit angegrauten Schläfen passe. Strack hatte komisch gelacht und keiner von ihnen hatte jemals erfahren, ob er hingegangen war oder nicht. Auf Demskis Schreibtisch war jedenfalls kurze Zeit später diese Blechente aufgetaucht, der das halbe rechte Auge fehlte. Demski behauptete, daheim ziehe er sie manchmal auf und dann rase sie in einem Tempo und mit einer Zielsicherheit durch die Wohnung, dass man meinen könne, sie hebe im nächsten Moment ab und fliege auf und davon. Übers Wochenende

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