Die Süße Des Lebens
Weihnachten ist schon eineinhalb Wochen vorbei und diese Art von Wurst wird normalerweise um diese Zeit nicht mehr nachgefragt, aber sie schaut trotzdem im Kühlraum nach und findet einen Rest mit einem Kometen. Fünfzackiger Stern und gebogener Schweif. Sie fragt mich, wie viel ich brauche, und ich sage zehn Deka, weil alle bei der Wurst zehn Deka sagen, und sie lässt mir die Hälfte des Preises nach, weil sowieso keiner mehr nachfragt.
Ein kurzes Stück die Linzer Straße entlang, einmal nach rechts, an einer Plakatwand vorbei, noch einmal nach rechts und das zweite Haus ist es dann. Im Garten mehrere antike Figuren, Götter und Nymphen und so was, allerdings aus irgendeinem atomkriegssicheren Kunststoff. Ich gehe noch fünfzig Meter weiter bis zu dem Punkt, an dem die Linzer Straße nach links abbiegt und geradeaus ein winziges Kiefernwäldchen liegt, beinah ein Park, nur stehen keine Bänke drin. Ich stelle mich mitten hinein unter die Bäume, sodass mich keiner sieht, schaue auf die Uhr und bin ganz sicher: in zehn Minuten.
Die Tür geht auf und obwohl ich ihn nicht sehen kann, weiß ich, dass oben auf der Treppe Reithbauer steht in seiner Busfahrermassigkeit und zum Hund sagt: Na, geh schon!, und der Hund stürmt die Treppe hinab, springt hoch, drückt mit den Vorderpfoten auf die Gartentorschnalle und ist draußen.
Ich behalte ihn im Auge, wie er im Zickzack die Straße entlangläuft, hin und her und hin und her, von einer Straßenlaterne zur nächsten. Währenddessen nehme ich den Rucksack ab, setze die Maske auf und hole das Päckchen mit der Weihnachtswurst hervor. Der Hund ist so fett, dass bei jedem Schritt sein Bauch ein Stück zur Seite schwingt, einmal links, einmal rechts. Er ist selber eine Wurst und Würste sind dazu da, um in sie hineinzuschneiden. Etwas in der Art würde Daniel sagen, insofern hat alles seine Richtigkeit. Ich lege den Fausthammer neben dem Rucksack in den Schnee und schiebe am Stanleymesser die Klinge möglichst weit heraus. Ein dicker Hundehals braucht eine lange Klinge. Als der Hund den Rand des Wäldchens erreicht, rufe ich leise: »Cora!« Der Hund bleibt stehen, spitzt die Ohren und kommt dann schwanzwedelnd auf mich zu. Hunden ist es komplett egal, wenn du eine Darth-Vader-Maske vor dem Gesicht hast, sie orientieren sich immer am Geruch der Wurst in deiner Hand. »Cora, sitz!«, sage ich. Der Hund gehorcht, hockt sich in vielleicht zwei Metern Entfernung hin und stößt ein dümmliches Winseln aus. Ich nehme eine Doppelscheibe Kometenwurst in die linke Hand, das Stanleymesser fest in die rechte und gehe langsam auf ihn zu. Ich fahre den linken Arm aus, sage: »Brave Cora«, und in dem Augenblick, in dem der Hund den Hals ganz lang macht und vorsichtig mit der Spitze des Maules die Wurst nimmt, stoße ich zu.
Du rechnest nicht damit, dass in Hundehaut ein Messer nicht so reingeht wie in Menschenhaut, und du rechnest nicht damit, dass sich eine weit ausgefahrene Stanleymesserklinge, wenn sie in Hundehaut mit außen Fell drauf reingehen soll, durchbiegt wie eine Fuchsschwanzsäge, die im Holz stecken bleibt. Daher zögerst du im entscheidenden Moment eine Zehntelsekunde, aber das genügt. Der Hund wirft den Kopf herum, exakt als ich zum zweiten Stoß ansetze, die Klinge bricht ab und ich sehe, als er mich in die Hand beißt, dass an seinem rechten unteren Fangzahn noch eine halbe Scheibe Weihnachtswurst hängt. Ich schlage und trete ihn, bis er mich loslässt und heulend davonläuft, und ich raffe meine Sachen an mich und laufe auch davon.
Als ich am Bootshaus der biologischen Beobachtungsstation ankomme, dort, wo der See nie zufriert, tut meine Hand so weh, dass es kaum mehr auszuhalten ist, und das Blut tropft immer noch. Das Stanleymesser mit dem Klingenrest halte ich jetzt in der Linken und würde mich jemand sehen, würde er wahrscheinlich glauben, ich hätte soeben versucht, mir die Pulsadern aufzuschneiden. Ich knie mich erst auf den Steg, gleich neben der Bootshaustür, und als ich merke, dass die Entfernung zum Wasser zu groß ist, lege ich mich auf den Bauch. Die Kälte, die über den Schnee an meinen Körper dringt, spüre ich ab dem Moment nicht mehr, in dem ich meine Hand ins Wasser stecke.
Ich habe an Wawrovsky gedacht, das weiß ich noch, an unseren Karosseriespengler, der einmal gesagt hat: Wenn du dir die Hand verbrennst, am Motorblock zum Beispiel oder an einem Auspufftopf, ist es am wichtigsten, du tauchst sie sofort in Eiswasser und lässt sie so
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