Die Süße Des Lebens
die beiden Geschwister Wilferts, die noch am Leben waren, die Schwester, die mit ihrem zweiten Mann in Bruck an der Mur wohnte, und der Bruder, der vermutlich nicht kommen würde, da er nach einem ausgedehnten Schlaganfall mit einer Lähmung der rechten Körperhälfte im Rollstuhl saß. Die drei Geschwister von Wilferts verstorbener Frau mit ihren Familien; die Nachbarn, wobei das auf Grund der Lage des Hofes nicht mehr als zwei Familien waren; Abordnungen des Jagdvereins und des Seniorenbundes; eventuell ein paar nähere Bekannte; mehr nicht. So etwas wie Freunde habe ihr Vater längst nicht mehr gehabt, hatte Luise Maywald bei ihrer letzten Einvernahme gesagt.
»Werden die Jäger Salut schießen?«, fragte Lipp.
In diesem Moment stieß Lefti die Terrassentür auf. Er stellte ein Tablett mit einem großen runden Tontopf, drei hellblau glasierten Schalen und Besteck auf den Tisch. »Bismillah«, sagte er. »Mahlzeit«, sagte Kovacs. »Was ist das?«, fragte Lipp. »Rübentagine mit Couscous«, antwortete Lefti.
»Nein, ich meine dieses ›Bisma irgendwas‹.«
»Bismillah. Im Namen Gottes. Das ist der Gruß, mit dem in Marokko der Hausherr die Tafel eröffnet.«
Lipp sagte nichts darauf. Kovacs hob den Deckel vom Topf und schnupperte. »Sternanis und Koriander.«
»Das stellt nach den Feiertagen den Magen wieder her«, sagte Lefti. Er wirkt ernster als sonst, dachte Kovacs, irgendetwas ist los mit ihm.
»Ich denke nicht, dass Jäger auf Begräbnissen ihre Gewehre abfeuern«, sagte Kovacs und die beiden anderen waren ganz seiner Meinung. Soldaten schossen Salut, eventuell die Tiroler Schützen, Jäger nicht.
Florian Lipp aß mit besonderem Appetit. Immer wieder tunkte er große Fladenbrotstücke in die Sauce. So etwas hat er noch nie gegessen, dachte Kovacs. Er kramte in seiner Erinnerung, fand jedoch kein Bild von Lipps Mutter.
Sie legten fest, dass Sabine Wieck Wilferts Familie im Auge behalten würde, Lipp die anderen Begräbnisteilnehmer und Kovacs die Umgebung. Lipp würde außerdem fotografieren, für alle Fälle. Die Sache mit dem Mörder, der auch nach der Tat die Nähe seines Opfers sucht, war zwar ein Klischee, doch in Wahrheit konnte keiner sagen, wie es Mörder mit Klischees hielten. Kovacs versuchte sich den Friedhof vorzustellen, den Bereich mit den hohen skulpturgeschmückten Grabsteinen gleich rechts vom Eingang, in dem die Adeligen der Stadt und ausgewählte Großbürger lagen, die neugotische Aufbahrungshalle mit den schmalen Spitzbogenfenstern und dem fürchterlichen Auferstehungsfresko, die Reihe alter Zypressen innerhalb der nördlichen Begrenzungsmauer. Es würde kalt sein und auf Grund der Kälte würden die Leute nicht nur ihre Hälse kurz machen, sondern sich mit Schals und Mützen vermummen, was ging. Keine eindeutigen Gesichter, dachte er, das passt zur Geschichte.
Die Terrassentür ging auf. Lefti sprach mit jemandem. Kovacs wandte sich um. Ein orientalisch wirkender Mann in einer orangefarbenen Winterjacke trat heraus. Groß, schlank, vielleicht dreißig, keine Haube, keine Handschuhe. Er stellte in einigen Metern Entfernung zwei Stühle an die sonnenbeschienene Hauswand.
Lefti ging herum, verteilte mit einem silbernen Greifzängelchen Stücke kandierten Ingwers in schmale Gläser und goss Pfefferminztee darüber. »Ingwer wärmt«, sagte er, und, mit einem kurzen Seitenblick: »Das ist mein Cousin.« Dann setzte er sich zu dem Mann.
Sie besprachen Schritt für Schritt den zu erwartenden Ablauf der Beerdigung, das Zeremoniell, die Örtlichkeiten. »Was erwarten wir eigentlich?«, fragte Lipp nach einer Weile. Kovacs schaute ihn überrascht an. »Jemanden, der sich gerne zeigt«, sagte er. Er merkte zugleich, wie er plötzlich unruhig geworden war. Es lag an Leftis Cousin und an Sabine Wiecks reduzierter Aufmerksamkeit. Sie äugte ständig zur Seite und knüllte an den Ärmelüberständen ihrer Fleecejacke herum. Der Mann gefällt ihr, dachte er, und ich bin eifersüchtig. Er versuchte sich ihn mit einigen Packungen Semtex am Leib vorzustellen und einem elektronischen Zünder in der Hosentasche, aber es gelang ihm nicht. Der Mann hatte ein auffallend kullerndes Lachen und Lefti wirkte in seiner Gegenwart beinahe ausgelassen, das war eigenartig. Wo ist Szarah, dachte Kovacs, mit ihrer Besonnenheit und ihrem Ernst?
Als sie aufbrachen, lag der Schatten der Kammwand wie ein holografisches Bild in dem Dunstschleier über dem See. Die Wetterverschlechterung, die für die nächsten
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