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Die Süße Des Lebens

Die Süße Des Lebens

Titel: Die Süße Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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Punkt, eine dunkle Stelle, etwas, das ihn veranlasst, einen gewissen Teil von sich zu verschließen. Möglicherweise hatte es mit seinem Vornamen zu tun, den er französisch aussprach – was auf seine Mutter zurückzuführen sei, eine aus einem kleinen Nest bei Grenoble stammende geborene Bequerel, möglicherweise war auch alles bloße Einbildung. Demski lebte jedenfalls mit Monika Spängler, einer ausgesprochen mageren Physiotherapeutin, und ihrem gemeinsamen sechsjährigen Sohn in einer der Mietwohnungen, die das Stift im größten der aufgelassenen Wirtschaftsgebäude eingerichtet hatte. Er war trotz des horrenden Jahresbeitrages Mitglied im Fliegenfischerverein, besaß eine Jolle, die im städtischen Jachtklub gewartet wurde, und fuhr regelmäßig nach Wien in die Oper oder ins Konzert. Er saß gerne auf dem Rathausplatz im Cafe Peinhaupt und trank dort Milchkaffee oder Pernod. Im Sommer sah man ihn mit seiner Familie halbwegs regelmäßig im öffentlichen Strandbad und jeden zweiten Winter machten die drei Urlaub an irgendeinem tropischen Meer. Diese Dinge wussten alle, genauso wie sie wussten, dass George Demski Zigarillos rauchte, niemals eine Schusswaffe trug und die Zuverlässigkeit in Person war.
    »Habt ihr außer Apulien noch etwas gefunden?«, fragte Kovacs. »Einen perversen bayrischen Pferdepfleger – verstümmelte erst die Genitalien von Haflingerstuten und als ihm dabei fad wurde, machte er sich über kleine Mädchen her«, sagte Demski.
    »Hat nicht direkt mit Köpfen zu tun.«
    »Nein. Aber mit Tieren.«
    »Stimmt. Was ist mit ihm passiert?«
    »Psychiatrischer Maßnahmenvollzug, wie der Italiener.«
    Insgesamt habe die Recherche in den international zugänglichen Datenbanken bestätigt, was aus der älteren Literatur bekannt sei und worin sie sich jetzt leider wiederhole, berichtete Bitterle, nämlich dass Kopfabschneider und Gesichterzerstörer zumeist eindeutig unter die Psychos zu zählen seien, Schizophrene vorwiegend, manchmal Leute mit etwas, das ›psychosewertige Persönlichkeitsstörung‹ hieß. »Das sind dann eben diese blassen Söhnchen, die irgendwann, wenn sie erkennen, dass sie in diesem Leben nicht mehr von der Mutter loskommen werden, das Hackebeilchen nehmen oder das Fleischermesser und ihr das Haupt von den Schultern trennen«, sagte Demski. »Das klingt super«, sagte Sabine Wieck. »Ist es aber nicht«, antwortete Demski.
    »Ich meine: ›das Haupt von den Schultern trennen‹.«
    »Sozusagen rein sprachlich?«
    »Genau. Rein sprachlich.«
    Ich habe mich in ihr nicht getäuscht, dachte Kovacs, sie achtet auf nervlich angegriffene Bienenzüchter und auf die Kleinigkeiten, die sonst niemandem auffallen. Er schaute sie von der Seite an. Sie hat eine schöne Nase, dachte er, groß, die Spitze leicht nach unten gebogen. Dazu trug sie eine weinrote Fleecejacke, deren Ärmel um zehn Zentimeter zu lang waren. Das stört komischerweise gar nicht, dachte Kovacs.
    Lipp stellte vor jeden von ihnen eine Tasse hin und goss Tee ein. »Wer schreibt am leserlichsten?«, fragte Kovacs. Demski ächzte auf und erhob sich. »Was wohin?«, fragte er.
    »Ins Feld ›Was haben wir?‹: ›Tote Bienen‹ und ins selbe Feld darunter: ›Einen Zusammenhang – Reifenspuren‹.«
    Demski trat an die Tafel, schob sie näher an den Tisch heran und suchte im Ablagefach nach einem Filzstift. Kovacs sah, dass inzwischen allerhand aufgeschrieben worden war, in die Rubrik ›Was brauchen wir?‹ zum Beispiel: ›Ein Motiv‹ und ›Einen Mörder‹, oder in die Rubrik ›Wer macht was?‹: ›Demski macht Urlaub‹. Je mehr Leute an einer Sache arbeiten, umso kindischer werden sie, dachte er. Er sagte jedoch nichts.
    Während er den ersten Schluck Tee nahm und sich prompt die Zungenspitze verbrühte, sah er, dass noch etwas auf der Tafel stand – ein Name mit einem Fragezeichen dahinter, klein, violett, in dieser akkuraten Druckbuchstabenschrift. Er las und spürte einen winzigen Triumph in sich aufsteigen. Auch Meister George irrte manchmal.
    »Daniel Gasselik ist in Haft«, sagte er, blies vorsichtig in seine Tasse und schaute über ihren Oberrand zur Tafel. Demski schüttelte den Kopf. »Ist er nicht.« Kovacs stellte die Tasse ab. »Was heißt: Ist er nicht?« »Unser Herr Bundespräsident …«, sagte Demski. Kovacs schloss die Augen. Er sah sich dort an der Hinterwand des Saales lehnen und hörte Nortegg, diesen mächtigen weißhaarigen Mann, der zudem als besonders jugendfreundlich galt, ohne jeden

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