Die Sumpfloch-Saga Bd. 2 - Dunkelherzen und Sternenstaub
solle Itopia Schwund diese Auftritte und Abgänge nicht so ohne Weiteres abnehmen. Die Frau sei sehr geschickt und könne einen durch Ablenkung und optische Effekte dazu bringen, an ihre Unsichtbarkeit zu glauben, aber in Wahrheit sei Frau Schwund so geheimnisvoll wie ein Kuchen ohne Konfitüre. Das Fach Geheimkunde sei sowieso verzichtbar, man könne es genauso gut auch Wichtigmacherkunde nennen. Dass Frau Schwund ihrerseits das von Herrn Westbarsch unterrichtete Fach Magikalische Physik nicht besonders schätzte, versteht sich in dem Zusammenhang von selbst.
Thuna, Maria und Lisandra hatten mit beiden Fächern große Probleme, denn ein wenig Zaubertalent war vonnöten, um Grundsätzliches zu verstehen und Übungen mit Erfolg zu bestehen. Was sie aber nicht daran hinderte, den Unterricht von Itopia Schwund viel mehr zu mögen als den von Krotan Westbarsch. Das lag an den Geschichten, die Frau Schwund zu erzählen wusste, allesamt geheimnisvoll, und auch heute enttäuschte sie ihre Schüler nicht.
„Wir wollen heute nichts Wichtiges durchnehmen, da noch ein paar Schüler fehlen“, sagte Itopia Schwund. „Hat jemand von euch in den Ferien die Nachrichten verfolgt?“
Sie war eine kleine, zierliche Lehrerin, kaum größer als ihre Schüler. Wenn sie etwas erzählte, lief sie stramm vor der Tafel auf und ab. Ihren kleinen Kopf zierte eine Brille mit riesigen Gläsern, die aber nicht dazu dienten, besser zu sehen, sondern Unsichtbares zu sehen. Angeblich verhalf ihr die Brille zu einem besonderen Blick, doch jeder, der sich diese Brille schon mal heimlich aufgesetzt hatte (und das hatten schon sehr viele getan), hatten nichts anderes gesehen als sonst auch.
„Es gab nämlich“, fuhr Itopia fort, „einen spektakulären Raub in Austrien. Dort, wo die Kronjuwelen des letzten Kinyptischen Reiches ausgestellt werden, wo man Reichtümer ohne Grenzen stehlen könnte, wenn man geschickt genug dazu wäre, wurde etwas entwendet: kein Diamant, keine goldene Krone, keine seltenen Perlen, nein, nur ein kleines Ding. Bei diesem kleinen Ding handelt es sich um den schmucklosen Korken einer Whiskyflasche.“
Itopia Schwund machte eine Pause. Ein Teil der Schüler wusste Bescheid, sie hatten davon gehört, doch die meisten waren ahnungslos.
„Warum ausgerechnet ein Korken? Kann mir das jemand von euch sagen?“
„Es ist in Wirklichkeit ein Zahn!“, rief Ponto Pirsch, der Klassenbeste (er hatte einen Schafskopf, aber das tat seiner Schlauheit keinen Abbruch). „Der Zahn von dem Riesen, der Amuylett erschuf! Der Zahn hat magische Kräfte!“
„Sehr richtig, Ponto. Dieser wertvolle, magische Zahn wird im Austrischen Museum für spektakuläre Schätze aufbewahrt. Die Korken-Gestalt war seine elfte Inkarnation. Denn ihr müsst wissen, dass der Zahn nicht einfach als Riesenzahn so herumliegt, sondern alle hundert Jahre seine Gestalt verändert.“
Thuna gab einen erstaunten Laut von sich.
„Ja, Thuna?“
„Ich dachte nur …“
„Sprich dich aus, Thuna!“
„Nun, die Welt ist doch schon ein paar Milliarden Jahre alt. Wenn also dem Riesen nach der Erschaffung der Welt der Zahn ausgefallen ist und sich der Zahn alle hundert Jahre neu inkarniert hat, dann kann er sich unmöglich in der elften Inkarnation befinden. Denn dann wäre er ja erst 1100 Jahre alt.“
„Siehst du, meine liebe Thuna“, sagte Frau Schwund, „das ist der Grund, warum du in diesem Fach auf keinen grünen Zweig kommst. Mit Zahlen im mathematischen Sinne kommen wir hier nicht weiter. Stell dir einfach vor, dass die Zahlen symbolisch oder bildlich gemeint sind, um einem unsichtbaren Sachverhalt ein Gesicht zu geben.“
„Hmmm, ja.“
„Es gibt eine innere Logik und Wahrheit in der Schöpfungsgeschichte vom Riesen. Ebenso in der Anzahl der Inkarnationen des Zahns. Denn wir haben es mit einem rätselhaften, magischen und sogar heiligen Gegenstand zu tun. Man kann ihn nur verstehen und sein Geheimnis ergründen, wenn man die Überlieferung vollkommen ernst nimmt.“
„Ja, gut“, sagte Thuna schnell, in der Hoffnung, dass Frau Schwund endlich aufhörte, sie mit ihren riesigen Brillengläsern anzustarren.
„Was ist denn nun so magisch an dem Zahn?“, fragte Lisandra, um Frau Schwund von Thuna abzulenken. „Was hat er für Kräfte?“
„Er macht unverletzbar“, sagte Itopia Schwund würdevoll. „Wer ihn besitzt, kann nicht verwundet werden.“
„Und wer hat ihn gestohlen?“
Jetzt lachte Frau Schwund.
„Da bist du nicht die einzige,
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