Die Sumpfloch-Saga Bd. 2 - Dunkelherzen und Sternenstaub
Andererseits hätte sie es wissen müssen. Viego Vandalez hatte seine scharfen Augen und Ohren überall.
„Es ist doch nur …“, setzte sie an.
Er ließ sie nicht ausreden.
„Versteh mich nicht falsch, Scarlett! Ich gönne dir deine Freunde. Du bist ein kluges Mädchen und ich traue dir durchaus zu, dass du mit deinen Freundinnen zurechtkommst und in ihrer Gegenwart nicht die Kontrolle verlierst. Aber mit Jungen ist das was anderes. Liebe und Kontrolle sind zwei komplett unterschiedliche Dinge. Verliebtheit, Eifersucht, Liebeskummer und Herzschmerz führen zu Selbstverblendung, Irrtümern und Gefühlsattacken, die eine Cruda unter allen Umständen vermeiden muss. Ich meine es nicht böse, Scarlett, glaub mir das.“
Scarlett verstand es schon. Sie wusste es ja selbst nur zu gut, dass ihre Treffen mit Gerald ihr Leben schwieriger und gefährlicher machten. Aber sollte sie deswegen damit aufhören? Das konnte sie ja gar nicht!
„Sie sagen doch immer, dass man die Wirklichkeit so nehmen muss, wie sie ist“, sagte Scarlett tapfer. „Ich fürchte, in meinem Fall ist die Wirklichkeit so, dass ich Gerald Winter sehr gerne mag. Aber ich gebe mir alle Mühe, ihm nichts zu zeigen oder zu verraten. Und wegen Hanns brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Er ist nur ein Freund. Wir waren im gleichen Waisenhaus, als wir klein waren. Das ist alles.“
„Sieht Hanns das genauso?“
„Warum? Wie meinen Sie das?“
„Es geht nicht nur darum, wen du magst, Scarlett. Es geht auch darum, wer dich mag!“
Scarlett sah zum Fenster hinaus. Schnee, Schnee, Schnee, das war alles, was sie sah.
„Hast du dir jemals überlegt“, sagte Viego, „was ein Mensch anrichten kann, den du zurückgewiesen hast? Wozu verletzter Stolz oder ein gebrochenes Herz führen können? Du musst vermeiden, dass die Menschen Rechnungen mit dir offen haben. Entschuldige, dass ich meine Nase so neugierig in dein Leben stecke, aber wenn mich mein Eindruck nicht täuscht, verbringst du viel Zeit mit Hanns, ohne ihn darüber aufzuklären, dass du genauso viel Zeit mit Gerald verbringst!“
„Weil er nur ein Freund ist!“, widersprach Scarlett heftiger als zuvor.
„Ärgere dich nicht über das, was ich dir rate“, sagte Viego, „sondern denk darüber nach.“
„Ich werde nachdenken, gut. Aber ich kann Gerald nicht die Freundschaft kündigen!“
Viego lehnte sich in seinem Ohrensessel zurück und ließ die Hände mit den langen, knotigen Fingern sinken. Gerade hatte er noch damit gestikuliert. Immer, wenn Viego etwas sagte, das ihm besonders wichtig war, fing er an, mit seinen Fingern in der Luft herumzufahren. Scarlett kannte das schon. Nun hatte er sich beruhigt und musterte Scarlett mit einem Blick, der wahrscheinlich jedem anderen Menschen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Aber sie hatte keine Angst. Zwei dunkle Wesen verstehen einander und sie wusste, dass sie Viego sehr am Herzen lag.
„Um die Geschichte mit Gerald mache ich mir keine so großen Sorgen“, sagte er jetzt. „Das ist ein vernünftiger Junge, der eine Niederlage verkraften würde. Ich wünschte nur, du könntest dich auf diese eine Schwäche beschränken.“
Scarlett schwieg, darum kam Viego auf ein anderes Thema zu sprechen.
„Du hast vermutlich noch keine Fortschritte gemacht in der wichtigen Sache?“
Die wichtige Sache war wahnsinnig wichtig, wenn man Viego Vandalez Glauben schenkte. Aber Scarlett machte keine Fortschritte. Sie sollte herausfinden, wo ihr wunder Punkt saß. Jedes magische Wesen hatte so einen. Es lag in der Natur des magikalischen Fluidums, dass es immer eine Antikraft gab, die das Fluidum außer Kraft setzte. Im Fall einer bösen Cruda hieß das: Sie war verwundbar. Eine der schlimmsten Crudas der Geschichte – sie hatte viele Namen gehabt, aber man kannte sie hauptsächlich als DIE MALIZIOSA – war an ihrer Verwundbarkeit zugrunde gegangen. Sie verlor nämlich all ihre Zauberkraft, sobald sie etwas aß und verdaute. Sie gewöhnte sich an, nur einmal in der Woche etwas zu essen, doch in dieser Zeitspanne zwischen Mahlzeit und Toilettengang war sie kraftlos und des Zauberns nicht fähig. Sie hatte Vorkehrungen getroffen, verschanzte sich jedes Mal in ihrer Festung mit ihren Getreuen, doch einer dieser Getreuen war es, der sich schließlich gegen sie auflehnte und sie ermordete. Aus Eifersucht, hieß es. Genau in dem Moment, als sie sich eine Gabel mit dunkelrotem Kirschkompott in den Mund geschoben und dieses genüsslich zu lutschen
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