Die Sumpfloch-Saga Bd. 2 - Dunkelherzen und Sternenstaub
hatte. Es waren sehr leckere Kekse, buttrige, dicke Krümelkekse, die ein wenig, aber genau richtig nach angebranntem Karamell schmeckten.
Hanns hatte keine Lust, Scarletts Frage zu beantworten. Er tat so, als hätte er sie gar nicht gehört. Stattdessen redete er über seine neuesten historischen Entdeckungen. Scarlett bemühte sich, seine Schilderungen über Sumpflochs Vergangenheit spannend zu finden, aber es wiederholte sich zu viel und eigentlich war es ihr egal, ob Sumpfloch dreimal oder zehnmal als Gefängnis benutzt worden war und wer vor dreizehnhundert Jahren über die Sümpfe geherrscht und welchen Gebäudeteil angelegt, abgerissen oder befestigt hatte. Hanns konnte nicht genug darüber lesen und suchte leidenschaftlich im Inneren von Sumpfloch nach Spuren dessen, was er gelesen hatte. Ein toter Graben, eine verrottete Falltür, eiserne Verankerungen in der Wand, verschüttete Kerkerräume – all das ließ Hanns’ Herz höher schlagen. Er suchte nach geheimen Zimmern, doppelten Böden, versteckten Gängen und verbuddelten Kisten. Scarlett begleitete ihn nur ungern auf seine Expeditionen, was ganz einfach daran lag, dass sie eine Menge Geheimgänge, Verstecke und verborgen Zimmer längst kannte. Gerald hatte sie ihr gezeigt. Sie wollte Hanns nicht verraten, wo all diese geheimen Orte waren, das wäre Verrat an Gerald gewesen. Aber so zu tun, als würde sie vergeblich nach Orten suchen, die sie nicht finden wollte, das war ihr auch zu blöd.
Hanns hatte sich erstaunlich schnell in Sumpfloch eingelebt. Schon am dritten Tag ließ er sich zum Klassensprecher wählen, nachdem der amtierende Klassensprecher beim Klauen erwischt worden war und seinen Posten hatte abgeben müssen. Scarlett erklärte Hanns, dass sich viele Klassensprecher in Sumpfloch auf diese Weise freikauften. Sie inszenierten einen großen Schummel, ließen sich erwischen und wurden daraufhin aus dem ungeliebten Amt gefeuert. Wer wollte denn schon freiwillig Klassensprecher sein? Entweder bekam man von den Schülern eins auf die Mütze oder von den Lehrern, meistens aber von beiden. In der Regel wurden Klassensprecher sowieso nicht gewählt, sondern von den Lehrern dazu verdonnert, weil niemand so blöd war, sich als Kandidat aufstellen zu lassen. Und dann kam Hanns, ließ sich freiwillig aufstellen, und freute sich auch noch, dass er die Wahl gewann. Scarlett konnte es kaum fassen.
Hanns hatte ihr daraufhin im Brustton der Überzeugung erklärt, er werde bestimmt ein guter Klassensprecher sein, und Scarlett hatte dieses Selbstvertrauen für absolut weltfremd gehalten. Mittlerweile musste sie zugeben, dass Hanns recht behalten hatte. Obwohl er stotterte und immer so höflich und korrekt war, nahmen ihn seine Mitschüler vollkommen ernst. Er wurde nicht gehänselt, nicht herausgefordert, nicht geschnitten. Wenn er in einem Streit vermitteln musste, gelang es ihm, Frieden herbeizuführen, ohne laut zu werden oder jemanden zurechtzuweisen. Er fand Lösungen, mit denen alle glücklich waren, selbst die Lehrer. Bei alldem wirkte Hanns so zurückhaltend und untertänig, dass niemand einen Grund fand, ihn zu beneiden, zu hassen oder ihm die Anerkennung zu verweigern. Es war beeindruckend.
An drei Nachmittagen in der Woche half Hanns in der Bibliothek aus. Der Zwerg, der die Bibliothek leitete, schwärmte von seinem fleißigen Helfer in den höchsten Tönen. Und weil Hanns so verständig, sauber und ordentlich war, durfte er auch in den abgeschlossenen Raum mit den wertvollen alten Büchern gehen. Hier studierte er Abend für Abend historische Schinken und wenn er dann die hundertste Gefängnisgeschichte entdeckt hatte, bekam Scarlett sie bestimmt am nächsten Tag zu hören.
In seinem Zimmer, das auch im Gebäude der ungeraden Zimmernummern lag, hatte Hanns einige Umbauten vorgenommen, die von seinen Zimmergenossen sehr geschätzt und von allen Nachbarn bewundert wurden: Beheizte Kleiderstangen, Leselampen mit magikalischem Dimmer und Vorhänge, die unangenehme Geräusche verschluckten, waren nur einige der Dinge, die Hanns mit einfachen Mitteln und viel Geschick installierte. Selbstverständlich legte er auch in dem einen oder anderen Nachbarzimmer Hand an, wenn er darum gebeten wurde.
All diese Gefälligkeiten waren Hanns nicht der Rede wert. Dass Scarlett überhaupt darüber Bescheid wusste, verdankte sie dem gesprächigen Gerald. Der wusste immer eine Geschichte über Hanns zu erzählen und Scarlett hörte sich Hanns’ Heldentaten gerne an.
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