Die Sumpfloch-Saga Bd. 2 - Dunkelherzen und Sternenstaub
die beste Freundin, die ich jemals hatte.“
Scarlett nickte. Ja, natürlich. Sie waren Freunde und es gab keinen Grund, Hanns zu misstrauen. Was nichts daran änderte, dass sie ihm ihre wahren Gefühle vorenthielt: Denn wenn es tatsächlich ein Erdbeben gäbe und sie sähe eine Gruppe von Menschen, die aus Viego, Gerald, Thuna, Maria und Lisandra bestünde, dann würde sie zu diesen Menschen rennen und zu niemandem sonst. Hanns war unwichtig dagegen. Sie spürte es deutlich und wollte doch mit allen Mitteln verhindern, dass er das herausfand. Denn es tat ihr leid.
„Außerdem“, sagte er, „bist du der einzige Mensch in meinem Alter, den ich bewundere! Die anderen lassen sich so leicht beeinflussen. Du nicht. Das habe ich schon immer an dir gemocht. In dieser Herde von Schafen bist du der einzige andere Wolf. Ein schöner, stolzer Wolf, den mir das Schicksal geschickt hat.“
Am nächsten Tag wurde es schlagartig wärmer und das Tauwetter setzte ein.
Kapitel 9: Schneeschmelze
Thuna gab sich wirklich Mühe, die Gedanken ihrer Mitschüler nicht zu sehen. Aber wenn man im Geist anderer Wesen schwimmen kann und nicht aufpasst, dann kann es schon mal passieren, dass man seine Nase in Angelegenheiten steckt, die einen nichts angehen. So erging es Thuna mit Berry. Immer mal wieder rannte Thuna aus Versehen in Berrys Innenleben hinein und dann war es, als ob jemand einen kalten Eimer Wasser über ihr ausschüttete. Thuna zog sich dann schnell zurück, doch was sie sah, ließ sie vergessen, dass sie Berry grollte.
Denn Berry war unglücklich. In ihrem Inneren kämpfte Berry mit feindlichen Stürmen und klammen Fluten unguter Gefühle. Da gab es kaum eine Insel oder einen Ort der Geborgenheit, an dem sich Berry ausruhen konnte. Allenfalls einen nassen Stein oder Felsen, an den sie sich klammerte, um nicht unterzugehen. Anfangs dachte Thuna, Berry leide unter der Feindseligkeit ihrer ehemaligen Freundinnen. Aber mit der Zeit glaubte Thuna zu erkennen, dass das nur Nebensache war. Berry kämpfte einen ganz anderen aussichtslosen Kampf, der so anstrengend und ermüdend war, dass sie die Kälte ihrer Zimmergenossinnen kaum wahrnahm. Nachdem Thuna das einmal begriffen hatte, empfand sie Mitleid und das große Bedürfnis, Berry irgendwie zu helfen. Thuna konnte nicht zusehen, wenn andere Menschen litten, das war schon immer so gewesen. Daher passte sie einen Moment ab, als sie und Berry alleine an einem Tisch in der Bibliothek saßen, um Hausaufgaben zu machen, und sprach sie an.
„Was ist los mit dir, Berry? Ich dachte, deinen Eltern geht es wieder besser.“
Berry sah überrascht von ihrem Heft auf.
„Ja, es geht auch besser“, antwortete sie, starrte Thuna eine Weile an und guckte dann wieder auf die Zeilen, die sie gerade geschrieben hatte.
„Aber …“
„Was aber?“, fragte Berry drohend, ohne aufzusehen. „Thuna, ich weiß, du kannst in den Gedanken anderer Leute herumspionieren, aber ich rate dir, das bei mir nicht zu tun!“
„Ich spioniere nicht herum!“, verteidigte sich Thuna. „Es kommt mir nur so vor, als ob du große Sorgen hättest und niemanden hast, mit dem du darüber reden kannst!“
Berry legte ihren Stift beiseite und faltete die Hände auf ihrem Heft. Dann hob sie den Kopf und ließ den Blick unauffällig über die Tische der Bibliothek schweifen. Es waren nicht viele Schüler da und sie saßen weit weg.
„Ja, Sorgen habe ich schon“, sagte sie leise, fast flüsternd. „Aber ich kann nicht darüber reden.“
„Warum nicht?“, fragte Thuna, nun ebenfalls im Flüsterton.
„Weil … weil ich es versprochen habe. Es handelt sich um persönliche Angelegenheiten meiner Eltern. Ich muss alleine damit zurechtkommen.“
„Ich würde es nicht weitererzählen. Manchmal tut es gut, wenn einem jemand zuhört.“
„Nein, das geht nicht“, sagte Berry entschieden. „Aber danke, dass du gefragt hast. Ich weiß das zu schätzen.“
Berry nahm ihren Stift wieder auf und schlug ein Buch auf, das neben ihr lag. Das Gespräch war beendet. Thuna widerstand der Versuchung, in Berrys Gedanken zu blinzeln. Sie riss sich los und schaute wieder in ihre eigenen Bücher. Dabei versuchte sie sich zu erinnern, wie es gewesen war, als sie im Gefängnis der Cruda gesessen hatte, verraten von Berry. Aber die Erinnerung war verblasst, während ihr Berrys Kummer sehr gegenwärtig war.
Es war ungewohnt, aber schön, dass neuerdings von morgens bis abends die Sonne schien. Es war warm, doch an
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