Die Sumpfloch-Saga Bd. 2 - Dunkelherzen und Sternenstaub
Doch ganz gleich, ob Hanns ein Froschmädchen vor Frau Eckzahns Austrocknungszauber gerettet hatte oder in den Toiletten, die so oft verstopft waren, einen Gestank aufsaugenden Ventilator befestigt hatte, Scarlett fühlte nie so etwas wie stolze Bewunderung in sich aufsteigen. Hanns gehörte zu ihr, weil er schon immer ihr bester Freund gewesen war. Aber dass sie ihn toll gefunden hätte, dass ihr Herz schneller schlug, wenn sie ihn traf, oder dass sie nachts vorm Einschlafen zu viele Gedanken an ihn verschwendet hätte – das passierte nie. Gerald schien das zu wissen. Warum sonst hätte er ihr diese Geschichten erzählen sollen? Gerald war geradezu verdächtig uneifersüchtig. Er wusste, dass Scarlett mit Hanns genauso viel Zeit verbrachte wie mit ihm. Machte es ihm etwas aus? Nein! Manchmal fragte sich Scarlett, ob sie deswegen besorgt sein musste. Als sie jetzt mit Hanns zusammen im Trockenraum saß und Kekse aß, fragte sie sich das schon wieder. Sie war wohl geistig etwas abgeschweift, denn der plötzliche Eifer, mit dem ihr Hanns eine Frage stellte, schreckte sie auf und machte ihr klar, dass sie gar nicht wusste, wovon er sprach.
„Geht es dir nicht auch manchmal so?“, fragte er bewegt.
Er deutete ihren überraschten Blick und ihr Schweigen als nachdenkliche Zustimmung. Vermutlich. Denn nun fuhr er fort, als hätte sie genickt und deutlich „Ja!“ gesagt.
„Wir beide sind schon immer ganz anders gewesen als der Rest! Deswegen sind wir damals Freunde gewesen und sind es immer noch. Trotz der Jahre, in denen wir gar nichts voneinander gehört und gewusst haben.“
Scarlett atmete beruhigt ein und aus. Sie hatte wieder den Anschluss gefunden.
„Ja, da ist was dran“, sagte sie und fügte in Gedanken hinzu: Dass wir Freunde sind, merkt man auch daran, dass du gar nicht mehr stotterst, wenn du mit mir sprichst.
„Hast du dir nie überlegt, ob das Schicksal ist?“, fragte Hanns. „Dass ausgerechnet wir beide uns als Kinder begegnet sind? Wahrscheinlich waren wir wie Magneten, die sich unbewusst angezogen haben. Unsere Kräfte ergänzen sich und zusammen sind wir besonders stark!“
Jetzt kam Scarlett nicht mehr mit. Was wollte er ihr eigentlich sagen?
„Du solltest wissen, wo du hingehörst, wenn es mal hart auf hart kommt!“, erklärte er.
Scarlett ließ eingeschüchtert ihren Keks sinken, den sie in der Hand hielt. Denn Hanns hatte wieder diesen Blick. Er hatte ihn nur selten. Immer, wenn er etwas Wichtiges sagte, etwas, das ihn sehr bewegte, dann schien sich sein Blick zu verselbstständigen. Die grauen Augen sahen dann schärfer aus als sonst und sie taten etwas, das sich schwer beschreiben ließ. Sie griffen nach der Wirklichkeit. In diesem Fall griffen sie nach etwas, das sich unmittelbar unter Scarletts Nase befand. Es war ihr unheimlich, weil sie nicht verstand, was da vor sich ging.
„Wie meinst du das?“, fragte sie. „Worauf willst du hinaus?“
„Wenn nun … sagen wir mal, ein Erdbeben käme, das Sumpfloch verschluckt, und du müsstest in irgendeine Richtung davonrennen – kannst du dir das vorstellen?“
„Hm … ja, vielleicht.“
„Aber du musst dich entscheiden: Wenn du einmal losgerannt bist, kannst du nicht mehr umdrehen! Auf der einen Seite siehst du all diese Menschen, die so anders sind als du. Die nie begreifen werden, wie du wirklich bist. Auf der anderen Seite siehst du mich, deinen ältesten Freund, der genau weiß, was in dir steckt! Wohin würdest du rennen?“
Scarlett war es auf einmal viel zu heiß im Trockenraum mit den vielen Öfen. Ihr Gesicht glühte.
„Würdest du zu mir rennen?“, fragte er. „Oder zu den anderen?“
„Es wird kein Erdbeben geben“, sagte sie.
„Das ist doch nur ein Bild, Scarlett!“
„Schon verstanden. Aber was willst du? Mir Angst machen? Ich mag das nicht!“
Sie sagte es so ärgerlich, dass Hanns sofort aufhörte, sie anzustarren. Er guckte weg und sagte leise in Richtung der trocknenden Unterhosen:
„Verzeih mir, Scarlett, ich wollte dich nicht erschrecken!“
„Schon gut“, sagte sie versöhnlich, obwohl es gar nicht gut war. Er hatte sie wirklich erschreckt mit seinen komischen Fragen und sie wurde den Eindruck nicht los, dass das alles mehr zu bedeuten hatte, als Hanns jetzt zugeben wollte.
„Ich wollte dich nicht so überrumpeln“, sagte er. „Vielleicht brauchst du noch ein bisschen Zeit.“
„Zeit wofür?“
„Um zu verstehen. Mich zu verstehen. Nimm es mir bitte nicht übel! Du bist doch
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