Die Sumpfloch-Saga Bd. 3 - Nixengold und Finsterblau
Die Männer mussten sich entscheiden: Wollten sie den Dämon erledigen, mussten sie das Mädchen opfern. Wollten sie aber das Mädchen retten, mussten sie den Dämon am Leben lassen. Als der Dämon sah, dass die Männer es nicht wagten, die Hand gegen ihn zu erheben, wusste er, dass er gewonnen hatte. Erst langsam, dann kraftvoller, breitete er seine Flügel aus und begann damit zu schlagen, ungeachtet der Mauern, die ihn umgaben. Er konnte sie immer noch durchdringen, doch er merkte, dass es ihn weit mehr Kraft kostete als sonst.
Mit einer großen, gewaltigen Anstrengung erhob er sich, das Mädchen in seinen Klauen. Er durchquerte die Mauern, flog mühsam in Kreisen höher und höher und hielt dann, als er den höchsten Turm des Schlosses unter sich wusste, auf den Vollmond zu. Die Zauber des Halsbands zogen ihn in die Tiefe, doch er kämpfte dagegen an. Bald hatte er das Schloss hinter sich gelassen, flog unter den Sternen über das weite, schwarze Land und brachte eine sichere Entfernung zwischen sich und die beiden Männer, die ihm nach dem Leben trachteten. Als er glaubte, dass sie ihn nicht mehr erreichen konnten, ließ er das Mädchen los. Er brauchte es nicht mehr.
Berry fiel. Einen Sturz aus dieser Höhe konnte sie nicht überleben, trotzdem war sie froh, dem Dämon entronnen zu sein. Seine Nähe, besonders aber sein Klammergriff hatte etwas so Trostloses gehabt, dass selbst der Tod dagegen wie ein fröhliches Ereignis wirkte. Komischerweise dachte Berry während ihres Falls gar nicht groß über ihr eigenes Ende nach. Sondern sie überlegte, wie es mit dem Dämon weitergehen würde. Er musste in den Körper des echten Löwen zurückkehren, spätestens morgen Nacht. Es blieb ihm gar keine andere Wahl, denn seine körperliche Existenz war an diesen gekettet. Er war geschwächt, doch immer noch sehr gefährlich. Man musste ihn ausschalten und zwar indem man den echten Löwen tötete, solange sich der Dämon in ihm verbarg. Mit entsprechenden Zauberei-Vorkehrungen. Viego Vandalez würde das schaffen, der Engelsdämon konnte überwunden werden. Berry musste also nicht in der Gewissheit sterben, ein namenloses Grauen über die Menschheit gebracht zu haben. Es ließ sich bereinigen, auch wenn sie selbst nicht mehr dafür sorgen konnte.
All das dachte sie innerhalb kürzester Zeit, während die nächtlichen Lande unter ihr näherkamen und der kalte Wind sie mal hierhin, mal dorthin riss. Wie immer, wenn es hart auf hart kam, verspürte sie in diesem Moment kaum Angst. Stattdessen war sie klar im Kopf, sehr aufmerksam, und ihr Geist arbeitete schnell. Sie dachte an den einzigen Moment in ihrem Leben, der sie für mehrere Monate in die tiefste Verwirrung gestürzt hatte: Das war der Moment gewesen, in dem sie erkannt hatte, dass ihre Eltern sie nicht von Herzen liebten. Vieles hatte sich seitdem verändert. Berry entschied jetzt selbst, was gut für sie war und was nicht. Vieles betrachtete sie nun mit anderen Augen. Sie sorgte sich auch mehr um das Wohl anderer, als sie es früher einmal getan hatte. Vielleicht weil sie am eigenen Leib erfahren hatte, wie das war, wenn man mit seinem Herzen plötzlich alleine dastand.
Eine Frage schlüpfte in Berrys Gedanken, während sie fiel. Wer würde sie vermissen, wenn sie tot war? Der Halbvampir Vandalez würde sich bestimmt große Vorwürfe machen. Aus Gründen der Verantwortlichkeit. Ihre Eltern würden wehklagen vor Schmerz und Kummer. Ungefähr so, als hätte man ihnen einen dicken Sack Gold aus dem Bettkasten gestohlen. Komisch – die einzigen Menschen auf dieser Welt, denen Berrys Tod wirklich etwas ausmachen würde, waren wahrscheinlich die Mädchen, die sie noch vor einem Jahr bekämpft, belogen und verraten hatte: Scarlett, Thuna, Maria und Lisandra. Schade, dass sie sie nie wiedersehen würde.
Das dunkle Tal unter Berry war nun so nah, dass sie einzelne Häuser erkennen konnte und eine Straße, die sich zwischen einigen Anhöhen hindurchschlängelte. Wie viel Uhr mochte es sein? Drei Uhr, vier Uhr in der Nacht? In keinem der Häuser brannte Licht. Dafür kam ein Stern angeflogen. So sah es im ersten Moment jedenfalls aus. Ein weißes Licht, so schnell, dass man kaum erkannte, was es war. Es leuchtete und kringelte sich und verbreitete Zuversicht. Berry konnte es kaum fassen: Kam dieses Licht angeflogen, um sie zu retten? War ihr Leben doch noch nicht vorbei?
Sie hatte noch nie einen echten Schneeweißen Lindwurm gesehen, geschweige denn berührt. Es
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