Die Supermarkt-Lüge
nimmt dieser Zerfallsprozess bis 7,5 Stunden in Anspruch. Kommt ein Getränk also in den Handel, ist kein Dimethyldicarbonat mehr in der Flasche vorhanden. Der Gehalt an (giftigem) Methanol im fertigen Getränk ist Âextrem gering; Keime in PET-Flaschen zu belassen wäre mit Sicherheit die schlechtere Lösung. Allerdings: Der ÂInhalt von Glasflaschen kann durch einfaches Erhitzen entkeimt werden, Dimethyldicarbonat wird dazu nicht benötigt.
Velcorin ist ein gutes Beispiel für die Praktiken der ÂLebensmittelindustrie: Der Hilfsstoff wird in groÃem Umfang genutzt, Verbraucher erfahren jedoch nichts von seiner Verwendung.
Das Geschäft mit den Laboraromen
Aromen sind seit jeher die Geheimwaffe der Lebensmittelindustrie. Sie stecken in Fertiggerichten, sie stecken in Limonaden, in Joghurts â kurz, sie stecken eigentlich überall. Sogenannte natürliche Aromen entstammen natürlichen Grundstoffen, das heiÃt, bei »natürlichem Aroma« mit Angabe eines Ausgangsstoffes sollen mindestens 95 Prozent des Aromabestandteils aus dem genannten Stoff gewonnen sein. Natürliches Apfelaroma stammt also zu 95 Prozent aus Ãpfeln. Aber nur, wenn nicht »mit anderen natürlichen Aromen« dahinter steht. Dann sind es weniger als 95 Prozent, die anderen Stoffe entstammen jedoch ebenfalls natürlichen Quellen. Grundstoffe sind in den weitaus meisten Fällen spezielle Bakterien, Hefen oder Pilze, deren optimierte Aromen durch Destillation, Extraktion, enzymatische oder mikroÂbiologische Prozesse, Fermentierung oder chemische ÂLösungsmittel wie Cyclohexan, Ethylmethylketon und Diethylether gewonnen werden.
Wirbt beispielsweise ein Joghurt mit Himbeeraroma, dann stammt dieses nicht aus Himbeeren. Dazu müsst e »natürliches Himbeeraroma« angegeben sein. Und das ist schlecht möglich, denn für den Jahresbedarf an natürÂlichen Himbeeraromen würde die weltweite HimbeerÂernte der letzten 20 Jahre benötigt. Das Aroma kommt stattdessen aus Sägespänen, von Schimmelpilzen oder aus Zimtrinde.
Für andere Früchte, Nüsse, Blumen, Fische und Fleisch gilt Ãhnliches. Aromen aus dem Labor sind ausnahmslos wesentlich billiger als Aromen »echter« Zutaten.
Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht gibt es in Europa keine künstlichen Aromen mehr. Die wurden nämlich durch die EU-Verordnung 1334/2008 zusammen mit den naturidentischen Aromastoffen abgeschafft. »Naturidentisch« und »künstlich« klang in Verbraucherohren offenbar zu sehr nach der Herkunft aus dem Labor. Stattdessen gibt es jetzt Aromavorstufen wie zum Beispiel KohlenÂhydrate, Oligopeptide und Aminosäuren, die Lebensmit teln durch chemische Reaktionen, die während der Le bensmittelverarbeitung ablaufen, Aroma verleihen. AuÃerdem gibt es noch die »sonstigen Aromen«, also Substanzen die laut EFSA »nicht unter die Begriffsbestimmungen der Âzuvor genannten Aromen fallen«.
Geschmack und Geruch sind heute also oft nur noch eine Illusion â dank Aromen aus dem Labor.
Lebensmittelfabrikanten produzieren diese Aromen übrigens nicht selbst. Sie bekommen sie geliefert, von Unternehmen, die der Verbraucher üblicherweise nicht kennt: Die »groÃen Drei« sind Givaudan und Firmenich aus der Schweiz sowie IFF aus den USA. Unter den Verfolgern Âfinden sich Symrise aus Holzminden, Takasago und ÂHasegawa aus Japan, Frutarom aus Haifa, Israel, Mane und Robertet aus Frankreich.
Wer den Nahrungsmitteln der Welt zu Aroma verhilft, verdient viel Geld: Der Umsatz des Marktführers Givaudan betrug 2011 3,915 Milliarden Schweizer Franken, Âalso mehr als 3,2 Milliarden Euro. Ganze 53 Prozent davon entfielen auf die »Flavour Division«, die Aromenabteilung, die Schokolade, Kaugummi, Fruchtsäfte, Snacks, Fertiggerichte, Eiscreme oder Margarine ihren Geruch gibt. Der Rest kommt durch Einnahmen aus dem Verkauf von Parfum, wobei zu Parfum hier auch Haushaltsdüfte und Zahnpasta-Aromen zählen. Der stechende Odeur der Steinchen im Herrenklo stammt also vom selben Hersteller wie das Minzaroma in der Schokolade.
Was genau in diesen Aromen steckt, wollen die meisten Hersteller nicht sagen. Weder Symrise noch Givaudan geben dazu Auskunft. Doch einige kleinere Anbieter wie ÂSelectarôme aus Cannes in Südfrankreich (Umsatz 2010: 1,55 Millionen Euro) schlüsseln die Zusammensetzung ihrer Aromen den
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