Die Tänzerin im Schnee - Roman
wird sich für die beiden nicht viel ändern. Ihre Treffen werden eben nur heimlich stattfinden müssen. Ich habe ihm versprochen, sein Mittelsmann zu sein.«
Nina seufzt, als Viktors Hände ihren Körper hinabwandern und seine Finger ihre Schultern berühren. »Wie bei einem Spiel unter Kindern.« Der Lärm nebenan hat die Katze aufgescheucht, die nun im Flur schreit. Und obwohl Ninas Glieder vor Müdigkeit zittern und sie gegen den Schlaf ankämpfen muss, kann sie sich nicht zurückhalten, nach Viktor zu greifen; sie will keinen Zentimeter Luft zwischen ihnen spüren, nur die Bewegung seiner Muskeln auf ihren.
Als die »Notfall«-Sitzung sich dem Ende zuneigte, empfand Grigori das dringende Bedürfnis, jemanden zu erwürgen. Wäre er nicht Direktor des Instituts, wäre er nicht der stille, zurückhaltende Grigori Solodin, wäre er nur irgendjemand anderes, wäre er gar nicht erst gekommen oder zumindest schon früher wieder gegangen. Aber nein, er hatte den gesamten »Notfall« über sich ergehen lassen, obwohl er wusste, dass Drew Brooks sich zu einem bestimmten Zeitpunkt im selben Gebäude aufhalten, ihn dort erwarten, suchen und nicht würde finden können.
Die Sitzung hatte allerdings tatsächlich etwas von einem Notfall, da ihre erste Wahl für die Besetzung des neuen Lehrstuhls für Slawische Studien überraschend abgesagt hatte. Sie brauchten so schnell wie möglich einen Ersatz und hatten zwei weitere Kandidaten zur Auswahl – doch natürlich waren Walter und Hermione völlig unterschiedlicherAnsicht darüber, welcher von ihnen besser geeignet wäre, und verbrachten eine Stunde und fünf Minuten damit, lang und breit ihre jeweilige Wahl zu erörtern. Sie liebten diese Sitzungen, je länger, desto besser; warum irgendetwas am Telefon oder in E-Mails besprechen, wenn man stattdessen eine überlange, streitlustige Sitzung abhalten konnte? Grigori wusste, dass er hart mit ihnen ins Gericht ging, aber es stimmte ja, so waren sie, das war ihr Leben, und es bescherte ihnen Freude: all die Unterausschüsse und Auswahlkommissionen und »Notfall«-Sitzungen. War da niemand, der zu Hause auf sie wartete – brummte Grigori zu sich selbst, als er sein eigenes kaltes, dunkles Haus betrat –, hatten sie nichts Besseres zu tun? Ihnen schien nicht bewusst zu sein, wie schnell alles vorbeiging, wie kurz das Leben war, wie die Zeit nur so raste, besonders, wenn man sie (wie Grigori, bevor Christine starb) in kaputten Toastern oder neuen Hausanstrichen oder den Weihnachtskarten, die jedes Jahr gleich aussahen, maß.
Er drehte die Heizung auf, hängte seinen Mantel in den Schrank und schenkte sich einen Scotch ein. Drew, wie sie ankam und seine Tür verschlossen und das Buch auf dem Boden dagegengelehnt fand, oder vielleicht war es ja heruntergerutscht wie ein alter, langsam versinkender Grabstein … Nun ja, sagte sich Grigori, vielleicht war sie aber auch ganz froh, sich nicht noch mit einem alten Russischprofessor unterhalten zu müssen; wahrscheinlich war sie gerade irgendwohin unterwegs, wo sie sich mit ihrem Freund traf, jenem, den sie ihm beim Ballett vorgestellt hatte.
Er nahm das Blatt Papier, das sie für ihn beschrieben hatte, aus seiner Aktentasche – darauf waren ordentlich und sorgfältig alle möglichen Bezeichnungen für die Bernsteinschmuckstücke und ihre Hersteller aufgeführt, nach denen er auf Russisch suchen konnte. Er ließ seinen Computer hochfahren und stellte die Tastatur auf Kyrillisch um. Als er den Namen des Juweliers und ein paar Schlüsselbegriffe zum Anhänger eingab und darauf wartete, dass die Suchmaschine in rasender Geschwindigkeit ihre Berechnungen durchführte, fühlte sich Grigori zunächst noch zuversichtlich. Eine Fülle an Fakten stand ihm direkt zur Verfügung. Doch während er die unterschiedlichsten Wortkombinationen in jeder möglichen russischen Variante eingab, wurde schnell deutlich, dass vieles von dem, was vor ihm erschien,dieselben Informationen waren; die Links führten immer wieder zu denselben Websites, so dass im Grunde kaum etwas dabei herauskam.
Frustriert gab er eine weitere russische Wendung ein und machte sich auf einen Haufen unzusammenhängender Informationen gefasst, die seinen Bildschirm überfluten würden. Hauptsächlich wurden andere Auktionen oder Antiquitätenhändler angezeigt sowie unzählige russische Websites. Was Anton Borowojs Firma anbelangte, fand Grigori nichts, das den Stempelverzeichnissen ähnelte, die Drew beschrieben hatte. Wenn er
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