Die Tänzerin im Schnee - Roman
junge Frau Madame ist. Aber wie konnte das nur passieren? Sie weiß, dass diese Frage wohl kindisch ist, aber wie wird aus einem Mädchen mit hellen, strahlenden Augen nur diese völlig andere Person?
Madame zeigt auf ihre Schwester. »Sonja«, sagt sie, und ihre Stimme klingt verändert, fast wie ein Echo.
»Sie ist wunderschön«, entfährt es Nina. Wie zur Zustimmung pickt Lola nach dem Glas und dem glänzenden Rahmen.
»Ja, das war sie, und sie war ebenso talentiert. Wir stammen aus einer guten Familie mit einem ordentlichen Stammbaum –
dein
Glück. Deine Kinder werden davon profitieren.«
Eine Weile dachte sie, sie bildete es sich nur ein, aber nun muss Nina sich die Wahrheit eingestehen: Seit sie Vera zum ersten Mal gesehen hat, sind Madames Beleidigungen schlimmer geworden.
Ungerührt fährt Nina fort: »Ihr Bruder sah auch gut aus.«
Madame nickt und schließt die Augen, wie um sich vor unerwünschten Bildern zu schützen. »Jetzt kennst du meine Familie.« Ihre Stimme ist sanft. »Alle ermordet. Ungehobelte Bauern haben ihren Platz eingenommen. Die Armenier nebenan …«
Vera beugt sich hinüber und streichelt Madames Hand, wie Madame es so oft bei ihr macht. Wenn Vera bei ihnen ist, wird immer wieder deutlich, dass Madame sich wünscht, Vera wäre ihre Schwiegertochter und nicht Nina. Nina fühlt sich plötzlich überflüssig und legt sich aufs Bett.
»Viktor ist seit dem frühen Morgen im Büro«, teilt ihr Vera mit, als hätte sie Ninas Gedanken erraten und versuche nun, sie einzubeziehen. »Das Büro« gehört zu der Zeitschrift, deren Lyrikredakteur Viktor ist.
»Sie lassen ihn so hart schuften«, seufzt Madame. »Wenigstens schicken sie ihn nächsten Monat nach Frankreich. Dort kommen all meine Kleider her.« Sie nickt in Ninas Richtung. »Eine Schande, dass er dich nicht mitnimmt.«
Nina gibt sich desinteressiert, obwohl seine Reisen an fremde Orte, an denen sie noch nie gewesen ist, jedes Mal schmerzhaft für sie sind. Nicht bloß wegen der Trennung; sie hasst es, wenn sie nicht in der Lage ist, sich bildlich vorzustellen, wo Viktor sich gerade aufhält und wie er sich dort zurechtfindet. Wenn er dagegen nach Peredelkino oder in eine der Städte fährt, in denen sie auch schon auf Tournee war, kann Nina sich ihn dort wenigstens vorstellen, wenn sie einmal sehr starke Sehnsucht nach ihm verspürt.
Nachdem Viktor an diesem Abend zurückgekommen ist und die sichtbar erleichterte Vera zu Gersch geschickt hat, kommt Nina ein merkwürdiger Gedanke. Etwa eine Stunde später, als Madame sich schon in ihr Zimmer verabschiedet und die Sperrholztür geschlossen hat, spricht sie ihn laut aus: »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, sie wurde geschickt, um uns auszuspionieren.«
Viktor legt gerade seine Kleidung ordentlich zusammen und bereitet sich aufs Schlafengehen vor. Er lacht: »Als Maulwurf wäre sie gar nicht mal übel!« Dann folgt ein langer Seufzer. »Ich wüsste nicht, was ich tun sollte, wenn ich sie wäre.« Er schlüpft schnell unter die Decken und zittert dramatisch. »Wenn du mir das angetan hättest, Nina. Wenn du irgendeinen anderen geheiratet hättest.«
Nina zieht die Augenbrauen hoch. »Du weißt schon, wer von uns sich damals Sorgen machen musste.« Obwohl sie auf Viktors Liebe vertraut, gibt es Momente, in denen sie gegen die Fragen ankämpfen muss, mit wem er sich alles während der langen Tage trifft, an denen er nicht bei ihr ist, und was er an den Abenden macht, an denen sie tanzt. Immerhin ist ihr bewusst, wie attraktiv er auf andere Frauen wirkt und wie sehr ihn diese Wirkung erfreut. Sie legt sich zu ihm ins Bett, zieht rasch die Decke über sich und legt ihre Füße an seine Schienbeine, um sich warmzuhalten.
»In meinem Bett liegt ja ein Eiszapfen«, sagt er mit gespielter Überraschung, worauf Nina etwas Lustiges erwidern möchte, aber sie ist zu müde und kann nicht verhindern, dass sie in den Schlaf sinkt.
Los 62
Goldene Miniatur-Damenarmbanduhr aus 18-kt.-Gold. Ziffernblatt
aus Aventurinquarz mit Index, enthält 17-steiniges Handaufzugswerk
Nr. 263996, ovales Gehäuse aus 18-kt.-Weißgold Nr. 9138
FA, Bügel besetzt mit zwei tränenförmigen Rubinen, Krone auf der
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(ohne Räderwerk), Audemars Piguet. 4000 –6000 Dollar
KAPITEL 11
I n den Jahren in Norwegen und Frankreich hatte die glänzende
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