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Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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helfen«, bietet Viktor an.
    »Ja, danke, Viktor. Ach, ich hoffe nur, es geht ihm gut da so ganz allein!«
    »Ich gehe jetzt wohl lieber«, erklärt Nina und sieht dabei Viktor an, damit er versteht, was sie ihm mitteilen will:
Ich muss Vera Bescheid sagen.
    Aus der Tür tritt sie überrascht in einen gerade beginnenden Frühlingsmorgen; die Luft riecht nach dem Regen der letzten Nacht plötzlich süßlich. Die blasse Sonne versprüht ihr Licht in weiter Ferne wie eine schwach leuchtende Glühbirne. Das leise Geräusch von Strohbesen auf dem Bürgersteig – es muss bald sieben Uhr sein, denn die alten Frauen haben begonnen zu kehren. Ninas Kopfschmerzen umschließen ihren gesamten Schädel wie eine zu eng sitzende Kappe.
Wenn Sie mir bitte für einen Augenblick zur MUR folgen würden.
Das Pochen in ihrem Kopf lässt sie die Augen zusammenkneifen, während die Sonne ihr schwaches Licht über den ganzen Himmel ausbreitet. Der Schnee ist nun vollständig geschmolzen und hat kleine Wasserläufe in den Rissen des Gehwegpflasters und ganze Ströme schwarzen Wassers am Straßenrand hinterlassen. Vor dem Metropol locken die hellen grünen Lichter eines Taxis. Aber Nina hat das Bedürfnis, die Luft auf ihrem Gesicht und den Boden unter ihren Füßen zu spüren. Sie geht vorbei an Geschäften, die ihre Waren in Kartons im Schaufenster präsentieren, an Ecklädchen, die ihre Süßigkeiten, Getränke und Sandwiches ausgelegt haben, und an den langen Wohnblocks der
doma kommuny
. Schlechte Nachrichten, schlechteNachrichten … Auf einmal wirkt alles verdorben, auch diese Welt, die ihr vor einer Weile noch so viel
besser
vorkam. Die neuen Bürgersteige senken sich, der neue Verputz bröckelt bereits ab wie billiger Nagellack. Nina biegt in den Boulevard ein, der zu ihrer alten Wohnung führt, und bekommt sogleich von einem großen, kräftigen Arbeitermädchen, das gerade den Gehweg mit einem Schlauch abspritzt, einen Schwall Wasser direkt über die Füße gegossen.
    Genau wie dieser furchtbare Pförtner. Die Menschen sind alle so schrecklich geworden.
    Ihre nassen Schuhe machen bei jedem Schritt ein klatschendes Geräusch, als sie die Gasse erreicht, in der sie früher gewohnt hat. Schmutziges Wasser quillt aus den rostigen Abflussrohren, und es riecht feucht und modrig. Sie muss über Bretter gehen, die quer auf dem Gehweg liegen, um nicht in die dreckige Brühe zu treten. Über sich vernimmt sie fleißige Frühaufsteher, die ihre Zimmer lüften und die Fenster putzen. Sie geht an einer Frau vorbei, die einen verschmutzten Hauseingang scheuert und dabei den Geruch von Karbolseife in der Gasse verströmen lässt. Das Putzen, die rauschenden Abflussrohre, die weißen Prunkwinden, die in dünnen Strängen die Balkone hinaufklettern … Veras Eltern wurden ebenfalls im Frühling verhaftet. Die Erinnerung kommt plötzlich mit großer Klarheit zurück. Aber natürlich. Diese Massenverhaftungen finden immer im Frühjahr und im Herbst statt, sie sind so jahreszeitlich bedingt wie in anderen Ländern Erntezeiten und Feiertage.
    Sie hat das Haus nun betreten und erklimmt die Treppenstufen zu ihrer alten Wohnung. Sie fragt sich, ob Vera in dieser Nacht überhaupt schlafen konnte und ob Mutter schon wach ist. Sie holt tief Luft und bereitet sich darauf vor, ihnen die Nachricht zu überbringen.
     
    Drew hatte den ganzen Tag lang an ihn denken müssen und fühlte es nun schon wieder. Sie wollte gern jemandem davon erzählen, Kate oder Jen anrufen und ihnen beschreiben, wie sich seine Berührung angefühlt hatte, wie er fast schon liebevoll ihre Wange gestreichelt hatte –
    Aber natürlich war es lächerlich. Ihre Beziehung war rein geschäftlicher Natur, und außerdem war er womöglich zwanzig Jahre älter alssie! In seiner Berührung lag eine Schwere, die nicht so viel mit Gewicht als mit Gewichtigkeit zu tun hatte. Es war nicht nur die Art, wie er sie gestreichelt hatte, entschied sie. Es lag auch an seinen Augen, die auf leicht traurige Weise lachten. In seinen Augen erkannte sie Lebenserfahrung, Freude und Traurigkeit untrennbar verwoben, wie tief die Traurigkeit dabei auch sein mochte und wie intensiv die Erfahrungen auch gewesen waren.
    »Augen voller Leben.« Diesen Ausdruck hatte Grandma Riitta immer benutzt, wenn sie sich an Drews Großvater Trofim erinnerte. Und Drew fand, dass dieser Ausdruck auch auf Grigori Solodin zutraf. Allerdings hatte er ziemlich erschüttert gewirkt, als sie sich ihm entzogen hatte. Aber war das nicht

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