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Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Seitengang. Nina kann Vera nirgends finden.
    Während des größten Teils der ersten zwei Akte gelingt es Nina, den heutigen erneuten Schicksalsschlag zu vergessen. Doch als sie in der Pause mit Pjotr zusammen an ihrem Tisch im hinteren Korridor sitzt, wird sie in Gedanken von der Realität geradezu überrollt: Viktors Gesicht, als er an diesem Abend in ihre Wohnung trat, seine zusammengesunkenen, einst so breiten Schultern. Furchtbare Gedanken prasseln auf sie nieder, während sie ihren Blick auf die Tür zur Loge A gerichtet hält. Sie stellt sich ganz fest vor, die Tür würde sich öffnen, als könnte sie es damit herbeirufen.
    Wenn Genosse Stalin selbst herauskäme und sie bemerkte, könnte sie mit ihm sprechen und ihm erzählen, was passiert ist.
Sie kennen doch selbstverständlich den Komponisten Aron Simonowitsch Gerschtein …
Aber würde er nicht schon längst alles wissen? So etwas konnte ihm doch nicht verborgen bleiben. Aber wie konnte er es dann nur zulassen?
    Pjotr macht auf einmal große Augen. Nina folgt seinem Blick zur Tür von Loge A. Sie hat sich geöffnet. Nina bleibt kurz das Herz stehen, und Pjotr setzt sich aufrechter – und sie weiß sofort, dass es sich nicht nur um Wunschdenken oder ein Trugbild handelt. Flankiert von zwei Leibwächtern, tritt Stalin hervor.
    Er wirkt gewaltig mit seiner breiten Brust, dem kräftigen Genick und seiner stolzen Haltung. Er schreitet langsam und würdevoll und hält die linke Hand dabei irgendwie verdeckt. Ganz überwältigt, ist Nina kurz davor, den Blick abzuwenden – doch er schaut sie geradewegs an, hat gesehen, dass sie ihn gesehen hat, und kommt langsam auf ihren Tisch zu. Der Blick aus seinen dunklen Augen ist durchdringend, und seinen grauschwarz glänzenden Haarschopf trägt er hoch und nach hinten gekämmt. Er strahlt Entschlossenheit aus. Er ist tatsächlich ein Mann aus Stahl, wie sein Name schon sagt.
    Jetzt ist er vor ihrem Tisch stehengeblieben und sieht auf sie hinunter. Die Leibwächter bleiben einen Schritt zurück.
    »Schmetterling«, sagt er langsam, »sehr beeindruckende Darbietung. Du erweckst Stolz auf unsere große Nation.«
    Von nahem fällt sein so vertraut klingender Akzent noch stärker auf. Allein schon der Klang seiner Stimme strahlt Weisheit aus. Nina steht auf, um einen Knicks vor ihm zu machen, beugt ihren Kopf vor und hört sich etwas murmeln – aber es ist nicht das, was sie sagen wollte, von dem sie sich wünscht, sie könnte es sagen. Wenn sie doch nur den Mut aufbrächte, ihn zu fragen.
    Sie hört ihr Herz in den Ohren pochen. Er hat sich jedoch bereits Pjotr zugewandt und spricht diesen mit derselben direkten Ausdruckskraft an: »Und du, Pjotr Filipowitsch.«
    Pjotr springt auf und verbeugt sich unterwürfig, wobei sein gesamter Körper zittert. Als Pjotr so dasteht, bemerkt Nina erstaunt, dass Stalin gar nicht so groß ist, wie sie dachte. Von nahem besehen ist sein Gesicht von Pockennarben übersät.
    »Genosse Stalin ist sehr zufrieden«, fährt er fort. »Eine äußerst interessante Darstellung. Ja. Es fehlte nur noch ein wenig an … Geschicklichkeit.« Er lächelt, und Nina kann seine gelben, abgebrochenen Zähne sehen.
    Pjotr stammelt etwas, aber Nina dröhnen die Ohren zu laut, um es zu verstehen. Stalin verabschiedet sich – und dann bewegt er sich auch schon mit seinen beiden Leibwächtern fort, und abgesehen von Ninas Gesicht, das immer noch glüht, ist es fast so, als wäre er nie dagewesen.
    Das war ihre Gelegenheit, etwas zu sagen; die einzige Chance, ihre Bitte an ihn zu richten. Und sie hat versagt. Sie hat sich selbst enttäuscht und Gersch im Stich gelassen.
    Pjotr ist ganz blass geworden. Mit zusammengezogenen Brauen sieht er Nina an: »›Ein wenig Geschicklichkeit‹ …« Er wiederholt den Ausdruck noch zweimal fragend. Nach ein paar Minuten, in denen keiner von ihnen einen Ton von sich gibt, verkündet Pjotr: »Weißt du, ich glaube, er hat vollkommen recht.«
    Als sie nach Mitternacht in Gerschs Wohnung ankommt, sind er und Zoja ungewöhnlich gut gelaunt. »Ich habe ihm gerade erst diegesammelten Werke von Lenin gekauft«, ruft Zoja. »Und jetzt wird er Zeit haben, sie auch zu lesen!« Aber im Grunde muss sie Angst haben. Sie ist immerhin seine Frau, und all das lässt sie selbst in keinem guten Licht dastehen.
    Nina setzt sich zu ihnen an den Tisch, wo Viktor Wodka trinkt und Zoja sie sogleich fragt, wie die Vorstellung gelaufen ist. »Oh, ganz gut, denke ich.« Sie erwähnt weder Stalins

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