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Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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auch sehr bewegende, wunderschöne Verse:
Schattenflickendecke, Fichtennadelteppich / Sonnentropfen aus gelbem Harz.
    Manchmal kam Grigori alles so nutzlos vor – seine Bemühungen, seine Neugier, seine kleinen Entdeckungen, sogar sein ganzer Beruf und die beschämende Erkenntnis, dass er seinem wichtigsten Anliegen keinen Schritt näher kam. Er hatte schon fünfzig Jahre auf diesem Planeten verbracht, und wofür? Um pausenlos Empfehlungsschreiben für Studierende namens Courtney, Heather oder Brian auszustellen, damit sie ein Jahr in Übersee verbringen oder wo auch immer die endlose Party fortsetzen konnten, aus der die amerikanische Collegeausbildung bestand.
    Es klopfte – bestimmt wollte Carla sich über den Zigarettenrauch beschweren. Grigori stellte das Buch an seinen Platz im Regal zurück und öffnete zögernd die Tür. »Ach, Zoltan, hallo, komm doch rein.«
    Zoltan sah wie immer irgendwie bucklig aus, als er hereinschlurfte, als sei seine gebrochene Schulter nicht ganz gerade verheilt. Oder vielleicht lag es daran, dass er seine schmuddligen Plastiktüten voller Notizbücher und Unterlagen überall mit hinschleppte. »Ich habe gestern Abend eine interessante Entdeckung in meinen Tagebüchern gemacht, bei der ich gleich an dich denken musste. Es steht etwas über deine Ballerina drin und außerdem eine kleine Bemerkung, die sie über ihren Mann gemacht hat.«
    Deine Ballerina.
So nannte Zoltan sie nun schon seit Jahren, seit Grigori als »Experte« für das dichterische Werk ihres Mannes galt.
    »Ich war gerade dabei, meine Aufzeichnungen durchzusehen, und fand darin die Beschreibung einer Party – und was für einer Party, obwohl sie eigentlich ziemlich formell hätte sein sollen. Prinzessin Margaret hatte eben …« Er brach ab, lachte in sich hinein und griff dann in eine seiner Plastiktüten. »Jedenfalls habe ich die Stelle für dich angestrichen.«
    »Vielen Dank, dass du an mich gedacht hast«, sagte Grigori, obwohl die Tagebuchstellen über Elsin, die Zoltan bisher ausgegraben hatte, nie besonders erhellend gewesen waren. Zoltan war zwar Nina Rewskaja in London persönlich begegnet, hatte sie aber nicht besondersgut gekannt. Jetzt öffnete er sein ziemlich abgegriffenes Tagebuch und suchte mit dem Finger auf dem Papier nach der richtigen Stelle. »Es ist nicht besonders viel, nur … wo ist es denn jetzt? Ah, hier. Möchtest du alles hören oder nur die Bemerkung über Viktor Elsin?«
    »Alles natürlich.« Grigori hob seine Zigarette auf und nahm einen tiefen Zug.
    Mit etwas gehobener Stimme begann Zoltan zu lesen:
»Der Schmetterling« war ebenfalls da, auch wenn ich sagen muss, dass sie mehr wie eine Gottesanbeterin wirkte – so hager und schroff und abweisend. Es erstaunt mich immer wieder, wie zerbrechlich Tänzerinnen wirken, wenn man ihnen persönlich begegnet. Sie war über und über mit Perlen behängt und strahlte so einen sanften Schimmer aus. Ihr Englisch war sehr gut, sehr korrekt, bis auf ein paar Besonderheiten in der Satzstellung, die ich nicht genau benennen könnte. Zuerst plauderten wir nur sehr oberflächlich, aber dann taute sie allmählich etwas auf. Isabel und Lady Edgar spielten am anderen Ende des Saals ein vermutlich ziemlich anzügliches Lied, von dem ich trotz meines angeblich »hervorragenden« Englisch nur die Hälfte verstand, und Nina sah nicht besonders begeistert aus. Wahrscheinlich hatte sie auch nicht alles verstanden. Sie gestand mir, dass sie bei ihrer ersten Einladung zu einer von Rogers Soireen ziemlich schockiert gewesen war, weil sie noch nie erlebt hatte, wie sich Menschen in Gesellschaft so ungezwungen benehmen, sich einfach auf den Boden setzen und ihre Schuhe ausziehen. Einer der vielen Unterschiede, die einem erst auffallen und die man später völlig vergisst, sagte sie. Ich weiß, was sie meint. Manches, was mich noch vor einem Jahr fasziniert hat, bemerke ich inzwischen kaum noch. Aber der Schmetterling wirkte immer noch recht angespannt, und als später die Rede auf Margot kam
– Zoltan blickte kurz auf und sagte: »Margot Forteyn natürlich« –
war offensichtlich, dass alle Gerüchte über den Bruch zwischen den beiden zutreffen. Nicht, dass sie es gesagt hätte, aber ihr ganze Art, die Schärfe in ihrem Blick und ihre Haltung sprachen eine deutliche Sprache.
    Jemand hatte ihr gegenüber erwähnt, dass ich Lyriker bin, also wartete ich darauf, dass sie das Gespräch auf ihren Mann bringen würde. Aber das tat sie nicht. Als ich sie fragte,

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