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Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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wie seine intelligenten, grüblerischen Eltern bei ihrer Übersiedlung in die Staaten ihre ganze Weltgewandtheit eingebüßt hatten, als hätten sie sie unterwegs im Gepäcknetz liegenlassen. Während es ihnen in Norwegen und später in Frankreich leichtgefallen war, sich einzuleben, wurden sie in diesem letzten neuen Land eine gewisse Schüchternheit und Verwirrung nicht los. Noch die harmlosesten amerikanischen Sitten stießen sie völlig vor den Kopf: das merkwürdige »How are you?«, auf das nie eine Antwort erwartet wurde, die Dankeskärtchen für Einladungen oder Geburtstagsgeschenke, für die sich der Absender längst persönlich bedankt hatte … Grigori hatte später begriffen, dass ihre Verwirrung auch viel damit zu tun hatte, wie andere sie sahen und behandelten: Als älteres Ehepaar mit einem wunderlichen jugendlichen Sohn – dem Jungen mit dem schwer zu lokalisierenden Akzent und dem schrägen Sinn für Humor. Manchmal hielt man sie sogar für seine Großeltern. Grigori nahm damals an, das läge mehr an ihrer zurückhaltenden Art lag als an ihrem Alter. Aber vielleicht hing es noch mit etwas anderem zusammen, das er schon lange ahnte: dass es trotz all der Liebe, die ihn mit seiner Familie verband – mit der einzigen Familie, die er hatte, zu der er gehörte –, eine gewisse, wenn auch kleine, unüberbrückbare Distanz zwischen ihm und seinen Eltern gab. Als er Ende zwanzig war, starben sie.
    »Hoppla, Entschuldigung. Oh, hallo!«
    Direkt vor ihm, von dem Pulk vor dem Getränkestand eingezwängt, stand – es dauerte einen Moment, bis er sie zuordnen konnte – die Frau von Beller. »Drew. Guten Abend.«
    Sie sah ihn überrascht an, in der Hand ein Plastikglas, aus dem ein wenig Wein auf ihren Handrücken geschwappt war. »Tut mir leid, dass ich Sie angerempelt habe. Wenigstens haben Sie nichts abgekriegt. Ach, das ist übrigens Stephen, ein Freund von mir.«
    »Sehr erfreut«, sagte Grigori und schüttelte dem Mann die Hand, während Drew eine Entschuldigung murmelte und die Hand zum Mund führte, um den verschütteten Wein aufzuschlürfen. »Stephen,das ist … Grigori Solodin.« In dem Moment verzog sie erschrocken, fast schmerzhaft das Gesicht. Grigori begriff sofort, dass sie an die Auktion dachte und an Grigoris Anonymität. Niemand sollte wissen, wer er war.
    »Wie nett, Sie hier zu treffen«, sagte Grigori, um ihr zu verstehen zu geben, dass er ihr vertraute. Eine kleine Gruppe von Zuschauern zwängte sich an ihnen vorüber, und der junge Mann, ein gutaussehender, wenn auch schmächtiger Kerl mit einem selbstsicheren Lächeln, legte Drew die Hand auf den Rücken, um sie ein Stück nach vorn zu bugsieren.
    »Gefällt Ihnen die Inszenierung?«, fragte Drew. Sie wirkte noch immer etwas unbehaglich.
    »Ja, sehr. Und Ihnen?« Über ihre Schulter hinweg sah Grigori Evelyn auf sich zukommen und wurde nervös; hoffentlich war Drew klar, dass auch sie nichts von seiner Rolle bei der Schmuckauktion wusste. Evelyn stellte sich zu ihnen und sah die anderen beiden erwartungsvoll an, während Grigori ihr ein Weinglas reichte. Mit etwas Glück würde sie die beiden für ehemalige Studenten halten. »Das ist Evelyn Bennet, eine Kollegin und gute Freundin von mir«, sagte Grigori.
    »Sind Sie Studenten von Grigori?«, fragte Evelyn.
    Drew sah Grigori fragend an, doch Stephen sagte schon: »Ach, dann sind Sie Dozent?«
    »Das sind wir beide«, erklärte Evelyn.
    »Evelyn ist Romanistin«, sagte Grigori, »und ich unterrichte russische Philologie und Literatur.«
    »Ach ja, Drew hat mir erzählt, wie sie einmal versucht hat, Russisch zu lernen.«
    Drew errötete. »Ich habe einfach kein Talent für Sprachen, fürchte ich«, sagte sie sichtlich befangen. »Aber ich habe immer so für Russland geschwärmt, also habe ich mich irgendwann für einen Kurs eingeschrieben. Aber ich bin wirklich …«
    In dem Moment erklang laut der Gong. »Ach, na so was«, sagte Grigori schnell. »Dann sollten wir wohl lieber auf unsere Plätze zurück.« Dabei wusste er genau, dass sie noch mindestens zehn Minuten Zeit hatten.
    »Ja, wir auch«, sagte Drew. Sie war offensichtlich genauso erleichtert, das Gespräch beenden zu können. »Genießen Sie die zweite Hälfte.«
    »Nett, Sie kennenzulernen«, fügte der junge Mann hinzu.
    »Ach, dann waren das gar keine Studenten«, sagte Evelyn lachend auf dem Weg in den Zuschauerraum. »Hast du etwa einfach ein Gespräch angezettelt, während ich auf der Toilette war?«
    »Wir sind

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