Die Tänzerin im Schnee - Roman
vom Tanzen.
»Und mit mir tanzt du wohl nicht?«
Zoja taucht in einem lockigen Ziegenfellmantel vor ihnen auf. Nina sieht verwundert zu, wie Gersch sie etwas unbeholfen begrüßt. Zoja scheint nicht überrascht zu sein, ihn in Gesellschaft von Vera anzutreffen, aber doch ein wenig verletzt. Sie wirft ihm unter ihren langen Wimpern einen niedergeschlagen Blick zu. Nina findet es berührend, dass sie nicht zu stolz ist, sich ihre Gefühle anmerken zu lassen. Außerdem gehört Zoja offenbar nicht zu denen, die jetzt, da Gersch in Ungnade gefallen ist, so tun, als hätten sie ihn nie gekannt.
Als Nina sie fragt, wie ihr das Festgetümmel gefällt, hellt sich Zojas Miene auf. »Oh, es ist alles so großartig! Habt ihr seine Rede gehört?« Sie wirkt ehrlich bewegt und sieht einen Moment lang mit ihren leuchtenden Augen wahrhaft schön aus. Nina kann es fast verstehen, dass Gersch sie einlädt: »Komm, Nudelchen, mach mit!« Wieder sieht man diese große Bewunderung in ihren Augen aufblitzen, als Gersch sie bei der Hand nimmt. Aber dann lässt er sie gleich wieder los und beginnt geckenhaft allein zu tanzen, schwingt die Beine, als wollte er einen Kasatschok aufführen. So ist er oft in letzter Zeit: wie von Sinnen albern und aufgedreht.
Vera sieht unbewegt zu. »Ich verstehe das nicht«, flüstert Nina Viktor zu, »das mit Zoja und Gersch.«
»Ich schätze, sie hat es nach wie vor auf ihn abgesehen«, sagt Viktor. »Dabei sollte ihr mittlerweise klar sein, dass sie verlorene Schlachten schlägt.« Das stimmt; es ist nur allzu offensichtlich, wie sehr Gersch in Vera verliebt ist. Ein Betrunkener torkelt vorüber und rempelt die Umstehenden an. »Darf ich um diesen Tanz bitten?«, fragt Viktor Zoja. Sie lächelt dankbar, und er nimmt sie mit auf die Tanzfläche.
Nina fällt auf, dass die beiden ein hübsches Paar abgeben. Sie fragt sich, ob Gersch je wirklich etwas für Zoja empfunden hat oder ob sein Verhältnis zu ihr nur tarnen soll, was er wirklich fühlt. Jetzt jedenfalls tanzen Gersch und Vera, nah beieinander, ernst und schweigend, als sei zwischen ihnen gerade etwas Wichtiges geklärt worden.
Als das Stück zu Ende ist, dankt Viktor Zoja für den Tanz, und Zoja erklärt, sie müsse jetzt wirklich gehen und sich mit ein paar Genossen treffen, die auf der anderen Seite des Platzes auf sie warten. Nina kann nicht umhin, sie trotz allem für ihren Mumm zu bewundern.
Das nächste Lied erklingt, und Viktor streckt eine Hand nach Nina aus. Die Musik hüllt sie ein, sie beginnen zu tanzen, und Gersch und er wirbeln Nina und Vera zwischen sich herum. Nina spürt, wie ihr Mantel sich um ihre Beine dreht, wirft den Kopf zurück und lacht, und die beiden Männer reichen Vera und sie zwischen sich hin und her, erst die eine, dann die andere.
Drew Brooks war da und unterhielt sich an der Rezeption mit einer anderen Frau. Etwas an ihrer Haltung drückte Unbefangenheit aus, wie sie dort in einem grünen Kleid am Tresen lehnte. Mit einem leichten Kopfnicken führte sie Grigori in ein kleines Zimmer, fast einen Wandschrank, mit einem kleinen runden Tisch und zwei Plastikstühlen.
»Es tut mir leid, dass ich neulich abends so davongestürzt bin«, sagte Grigori, nachdem er sich für ihre Nachricht auf dem Anrufbeantworter bedankt hatte, und setzte sich. »Es ist nur so, dass meine Freundin nichts davon weiß, dass ich mich an der Auktion beteilige. Niemand weiß das. Wenn so etwas noch mal passiert …«
»Dann könnte ich einfach sagen, ich hätte Sie kontaktiert, damit Sie für uns ein russischsprachiges Dokument übersetzen. Wäre das was?«
Er überlegte. »Das sollte gehen.«
»Das bringt mich auch gleich auf mein Anliegen. Sie sagten, Sie unterrichten Russisch.«
»Richtig.«
»Ich versuche ja, wie Sie wissen, Näheres über die Herkunft des Bernsteinsets herauszufinden. Mit etwas Glück könnte ich es schaffen, zu ermitteln, für wen die Stücke ursprünglich geschaffen wurden. Vielleicht waren sie von vornherein für eine spezifische Person bestimmt. Das ist nicht einfach, und ich bin bisher leider nicht sehr weit gekommen, aber immerhin haben die meisten namhaften Juweliere über ihre Produkte und deren Käufer Buch geführt. Lenore geht nicht davon aus, dass wir im Falle des Bernsteinschmucks fündig werden, aber wer weiß? Die Boston Public Library kann bei solchen Recherchen sehr hilfreich sein, und weil außerdem so viele Archive heutzutage online sind, könnte ich mir durchaus vorstellen, dass wir
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